Eroberer der Unendlichkeit
alles im größeren Maßstab vor. Wenn ich von Meilen spreche, dann meine ich die Meilen der inneren Oberfläche, die Hundertmillionenmal länger sind. Ich bin also wieder eins fünfundachtzig groß und der Transporter mißt zweiundfünfzig Fuß. In Wirklichkeit war ich etwa ein Zwanzigstel von einem Lichtjahr von der Erde entfernt.«
Dr. Gryce sah ihn ernst an. »Aber in dieser Entfernung hättest du mit dem Teleskop die Erde erkennen müssen. Brett, weshalb hast du sie und die anderen Sterne unseres Universums nicht gesehen?«
Brett nickte. »Wir konnten die Erde nicht sehen, weil sie im Vergleich zu unserer Größe wie eine Orange aussah. Um es noch genauer zu sagen – sie war ein Ball von etwa zehn Zentimeter Durchmesser, der mehr als dreimal pro Sekunde um seine winzige Sonne kreiste.
Also, bleiben wir bei den großen Normen. Wir saßen auf dem Boden des Transporters und starrten durch das große Fenster nach unten. Wir befanden uns etwa hundert Meilen über der inneren Oberfläche und drangen eben in die oberen Atmosphäreschichten ein. Wir fielen sanft immer tiefer. Unter uns ausgebreitet war Land und Wasser. Wir sahen Wälder und andere Vegetation. Hier und da tauchten Flecken menschlicher Zivilisation auf. Wir sahen Häuser, Dörfer. Es war eine fremdartige, ungewohnte Landschaft, aber eigentlich nicht abnormal. Ein hügeliges Land, sanfte Bergkuppen, breite Täler – und nahe dem Horizont eine scharf aufragende Bergkette. Sie schien nicht sehr weit weg. Wir konnten schwarze gähnenden Höhlen in den Felsen erkennen.
Der breite, halbmondförmige See lag direkt unter uns. Bäume säumten seine Ufer, merkwürdig geformte Bäume – und doch erkannte man sie sofort als solche. Ein paar niedrige Häuser mit flachen Dächern lagen neben dem See. Ein Dorf – oder eine Stadt. Die Gebäude waren merkwürdig gekrümmt – scheinbar halbmondförmig. Sie hatten keine geraden Linien. Im allgemeinen hatten sie nur ein Stockwerk, obwohl einige größer aussahen als die restlichen. Und auf einer Anhöhe in der Nähe des Wassers befand sich ein besonders stattliches Anwesen.
Es war keine absonderliche Szene, denn sie entsprach vollkommen unserem Größenstandard. Überall spürte man die Atmosphäre der Wälder. Bäume und Blumen wuchsen zwischen den Häusern. Die Flachdächer waren zu luxuriösen Dachgärten ausgebaut. Die Straßen waren breit und sauber, und jenseits der Stadt wanden sich Wegschleifen über die Hügel.
Eine Waldlandschaft, mit einem Hauch von Stille und Frieden. Ich war überrascht. Das hier war keine Zivilisation, die höher als unsere eigene stand – aber auch von Barbarei war nichts zu entdecken. Später merkte ich, daß es Dekadenz war.
Wir sahen diese Einzelheiten, als wir sanft auf den sichelförmigen See zuschwebten. Vielleicht ist euch aufgefallen, daß ich bisher weder Farben noch Bewegungen beschrieben habe. Unser Zeitmechanismus war in Betrieb. Die Szene unter uns war reglos, da wir immer den gleichen Augenblick festhielten. Eine gewisse Unwirklichkeit lag über ihr, etwas Schattenhaftes. Eine unnatürliche Stille. Wir kamen näher. Ein Boot war auf dem See – ein Boot mit einem Segel. Es lag starr da. Das Wasser war von Wellen gekräuselt, doch auch sie wirkten wie eingefroren. Und auf den Straßen sahen wir jetzt Menschen und merkwürdige Gefährte – alle standen sie da wie Wachsfiguren.
Das Wäldchen, in dem das Mädchen lag, war ein kleines Stück vom Seeufer entfernt. Ein einziges Haus stand in der Nähe, doch weiter hinten schloß sich der Wald wieder zu einer dichten Mauer. Wir bemerkten eine Lichtung, etwa fünfzig Meter von dem Mädchen und ihren Angreifern entfernt. Wir beschlossen, dort zu landen. Wir wußten, daß wir bis jetzt noch unsichtbar waren – ein Geistertransporter aus dem Raum, der im nächsten Moment am See landen wollte.
Wir senkten uns in die kleine Lichtung am Ufer und schwebten ein Stück über dem Boden – denn wenn wir gleich gelandet wären, hätten wir keine feste Substanz vorgefunden. Ich muß wiederholen, daß uns unsere eigene Unwirklichkeit nicht auffiel. Wir hielten unsere Umgebung für ein Schattenland und uns selbst für feste Substanz. Wir waren jeden Moment bereit, den Zeitschalter zu betätigen – und unsere Plätze in der neuen Welt einzunehmen.«
8.
»Ich hätte am liebsten den Zeitschalter nach unten gedrückt und wäre ins Freie gerannt«, erzählte Martt. »Aber Brett hielt nichts von Schnelligkeit.«
Brett
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