Eroberer der Unendlichkeit
einmal sehr lange über die Riesen diskutiert hatte. Brett war der Ansicht, daß sie irgendeine Droge – oder besser, zwei Drogen, benutzten. Eine, um die Körperzellen zusammenzuziehen, die andere, um sie zu erweitern. Man hatte auf der Erde auch schon nach solchen Drogen geforscht. Stickstoff war die Wachstumsbasis, und man hatte auch ein neues Element, Parogen entdeckt, das eine Schrumpfung herbeiführte. Auf Mars hatte man diese Drogen weiterentwickelt – aber sie eigneten sich immer noch nicht für den menschlichen Gebrauch.
Offenbar besaßen die Riesen so ein Mittel. Und es schien Strahlen auszusenden, die auch organische Stoffe in der Umgebung veränderten, denn die Kleider der Riesen dehnten sich oder schrumpften im gleichen Maße wie die Personen. Aber Brett hatte gesagt, daß eine Waffe in der Hand – besonders eine, die aus einem Mineral bestand – ihre Größe nicht veränderte … Dieser Gedanke hatte zumindest etwas Tröstliches für Martt. Die Riesen würden also auch keine Waffen besitzen.
Zees Stimme unterbrach seine Gedanken.
»Sieh mal, da drüben sind die Berge von Ried.«
Am anderen Ende des Sees schimmerte der Horizont. Aber zu ihrer Linken war eine Uferlinie sichtbar geworden. Und nun erkannte Martt auch die verschwommenen, dunklen Umrisse der Berge. Scharfe, zerklüftete Gipfel mit einem grünlich-weißen Flimmern.
Wieder verging eine Stunde. Das Ufer zur Linken kam näher. Welliges Land erhob sich jenseits des Sees. Eine gewundene Straße führte am Ufer entlang. Martt glaubte winzige Punkte zu sehen, die sich auf ihr bewegten. Weg von Ried, in Richtung Halbmond.
»Die Flüchtlinge von Ried«, sagte Zee. »Der Bote sagte, daß alle Straßen überfüllt seien.«
Wieder eine halbe Stunde. Vor ihnen erhoben sich drohend die Berge. Sie schienen direkt aus dem Wasser aufzusteigen. Der See wurde hier seichter. Sie kamen an flachen, schlammigen Inseln vorbei, die durch schmale Wasserrinnen voneinander getrennt waren. Ein verwischter Fleck am Fuß der Berge – das war Ried. Der silberne Glanz des Sees verwandelte sich, das Wasser wurde dunkler. Es sah schlammig und trübe aus.
»Wir sind jetzt im warmen Teil des Sees, Martt. Fühl mal!«
Das Seewasser, das hier von den heißen Quellen der Umgebung gespeist wurde, war merklich wärmer. Und mit jedem Moment wurde die Strömung, die sie auf Ried zutrieb, stärker. Martt wußte, daß in Ried die unterirdischen Ströme begannen und daß sie sich ihr Wasser zum Teil aus dem See holten. Deshalb war die Strömung nicht weiter verwunderlich.
Ried kam nun in Sicht. Die Stadt dehnte sich nach beiden Seiten hin etwa eine oder zwei Meilen aus. Die meisten Häuser waren auf Pfählen errichtet. Sie wirkten wie plumpe langbeinige Vögel, die im Wasser kauerten.
Während der ganzen Zeit hatten Martt und Zee aufmerksam nach den Riesen Ausschau gehalten. Nichts war von ihnen zu sehen. Außer dem trüben Wasser, den trostlosen Häusergruppen und den steil aufragenden Klippen schien es nichts zu geben. Zwei gähnende dunkle Öffnungen zeigten sich an, wo die unterirdischen Flüsse in den Bergen verschwanden …
Eine verlassene Stadt. Ihre Einwohner waren geflohen. Aber irgendwo zwischen diesen Häusern konnten die Riesen lauern …
Martt sagte abrupt: »Es ist vielleicht besser, wenn wir das Segel einziehen. Man kann es zu leicht sehen.«
Sie waren immer noch zwei Meilen vom Stadtrand entfernt und etwa eine halbe Meile vom näheren Teil des Ufers.
Zee half Martt, das Segel einzuholen. Das Boot war mit Stangen ausgerüstet. Der See konnte hier kaum tiefer als anderthalb Meter sein, und es war nicht schwer für sie, das Boot ans Ufer zu staken und unbeobachtet auf die näherliegende Flußmündung zuzugehen. Von dort aus konnten sie dann die Stadt erreichen und sich zwischen den Häusern verbergen.
»Zee, kannst du schwimmen?«
»Ja«, sagte sie. »Aber wenn du ins Wasser gehst, dann achte auf die Flüsse.«
Schweigend stakten sie das Boot ans Ufer. Sie zogen es aus der Strömung und brachten es auf einen Felsvorsprung. Der Uferstreifen war hier mehr als drei Meter breit. Der heiße, dunkle See schob sich träge auf Ried zu. Über ihnen erhob sich eine glatte Klippenwand.
Der Wind hatte gedreht – wirbelnde Böen kamen von den Bergen. Der Nebel von Ried strömte ihnen entgegen. Es wurde dunkel. Die Sterne verschwanden. In dem feuchten Dampf konnten sie kaum ein paar Meter weit sehen.
»Gut«, sagte Martt. »Das ist die richtige Umgebung für uns.«
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