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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Kaffee zu trinken, wie immer. Er hat sich an den Tisch gesetzt, eine Zigarette angesteckt und die Tasse auch noch an den Mund geführt, dort aber gezögert, wie in Erwartung des Kommenden, ehe sein Kopf vornüber gekippt ist. Ihm blieb also nur die Spanne zwischen dem Erwachen und dem Kippen der Dinge, eine knappe Viertelstunde, die er wie im Halbschlaf verbracht haben soll, und doch, sagt sich der Freund, wohl auch bei Bewusstsein, besonders in den Augenblicken des Zögerns, die ja seine letzten waren, als das Herz schon auszusetzen drohte und das Blut im Hirn gerade noch langte, um sich dieses Ende vor Augen zu führen – und vielleicht, so die Hoffnung dessen, der nicht dabei war, von einem der stärksten Momente unseres Jungseins zu zehren, als wir endlich die Spitze des Teide erreicht hatten, während die spanische Gruppe schon wieder abstieg. Ganz für uns saßen wir dort auf dem heißen Vulkanstein im Schwefelgeruch (zu der Zeit, als noch keine Seilbahn fast bis zum Gipfel führte), zitternd vor Kälte in den Sommersachen morgens um sechs auf dreitausendsiebenhundertachtzehn Metern über dem Meer, und ich rieb seine Hände warm, damit ihm ein Foto der aufgehenden Sonne gelang, und er bedankte sich, indem er nach dem Fotografieren zwei Zigaretten zugleich ansteckte und mir eine zwischen die Lippen schob, und dann rauchten wir in halber Hocke, um uns nicht die Eier zu versengen, Schulter an Schulter zähneklappernd mit Blick in den Sonnenball. Hundertmal wahrscheinlicher aber ist ein Chaos verblassender Bilder, als letzter Ausbruch einer lebenslangen Sucht nach dem vollkommenen Menschenbild, in das er sich hätte stürzen können wie in den Spiegel eines See, auf den Lippen das Ecce homo , das er mir schon zugerufen hatte, als das Foto des erschossenen Che Guevara um die Welt ging oder zur selben Zeit das eines Feldarztes in US-Uniform, der die Hand eines sterbenden Vietnamesenkinds hält. Nur war da wohl nichts anderes als Chaos, denkt sich der, der noch denken kann. M. hatte sich selbst schon zu entschieden aufgegeben und das Leben als Möglichkeit verstoßen (so wie andere eine Chat-Beziehung durch Blocken und Löschen gänzlich abtrennen). Jedes Ecce homo wäre verhallt, es gab für ihn keine Zuhörer mehr; sein Sterben war dann nur noch Formsache.
    Venedig, siebter Mai. Die Sonne scheint, und der Jubilar hat schon vor dem Frühstück Tennis gespielt und natürlich gewonnen; er begrüßt seine Leute, er hat für jeden ein Wort. Vormittags etwas Arbeit an der Novelle und nachmittags Bootsfahrt durch die Kanäle und ein Besuch der Scuola Grande di San Rocco. Gespräch mit einem gelehrten Ex-Banker über Kultur und Macht, während wir mit Hilfe tragbarer Spiegel die Deckenfresken der Scuola betrachten, flüsternd, die Köpfe gebeugt und nah beieinander; im Halbdunkel des Saals eine antike Szene, Lehrer und Schüler, zusammenwachsend, obgleich der eine (ich) mehr zuhört, dafür aber Fragen stellt, die den anderen öffnen. Und danach gleich der nächste Höhepunkt: Dem ewigen Tennispartner des Gastgebers ist es gelungen, das Dach des Peggy-Guggenheim-Museums mit Blick auf den Canal Grande exklusiv für einen Nachmittagstrunk mit Musik zu bekommen.
    Und während oben gefeiert wird, ein rascher Gang durch die Räume des kleinen Museums, um ein paar alte Bekannte, vor allem die De Chiricos, wiederzusehen, Bilder, die ich damals in Rom mit M. und den Schwestern erstmals bestaunt hatte, in einer großen De-Chirico-Ausstellung, ich weiß nicht mehr, wo. Ich weiß nur, dass wir vor etwas standen, das eher in eine unterirdische Welt gehört hätte als alle Grabmalereien von Tarquinia, und jeder sich seinen eigenen Reim darauf machte. Im Zwielichtigen der Farben und der unklaren Bedrohung durch die Architektur und die rätselhaften Frauenwesen, die einem zuwinkten, waren diese Bilder wohl eine Art Antwort auf die ungestellten Fragen unserer Nächte von Rom, vor allem der Frage, was das eigentlich war, was wir uns in den Zellen des Klosters in der Via Fratelli Bandiera dodici mehr unter den Nagel gerissen als verdient hatten. War das die Liebe, und wenn sie es war, war das schon alles – lag in diesem Anfang womöglich mehr Ende als Zauber? Oder lag der Zauber überhaupt nur in dem befristeten Drumherum einer düsteren Villa mit Turm, Hausnummer zwölf, die wie ein Teil des dort Gezeigten war, mehr unwirklich als wirklich: mit dem Zauber des Irrealen, der uns alle leichtsinnig sein ließ, folgenschwer aber nur für

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