Eros und Asche
zwei. Nach dem Besuch der Ausstellung hatten wir jedenfalls den Wunsch, auf die Pauke zu hauen, wie Leute, die eine Beerdigung hinter sich lassen wollen. Wir gingen zum Essen in die Via Veneto, die damals noch etwas galt, nicht lange nach La Dolce Vita , und gaben unser vorletztes Geld aus. M. bestand auf dieser Verschwendung für winzige pisellis mit carbonara , und als der Ober, weil mein Besteck das Signal dazu gab, den Teller, auf dem noch die halbe Portion lag, abräumte, kam sein ersticktes Lachen wie von einem Bewohner der düsteren Türme auf De Chiricos Bildern, die ich hier in Venedig wiedersehe, als seien sie zu mir zurückgekehrt und nicht andersherum.
Hotel Excelsior, abends. Die Eheleute schlüpfen in die bis zuletzt aufbewahrte Festgarderobe, ich in einen zwanzig Jahre alten Zweireiher, immer noch ein gutes Stück, darunter das Oberteil eines Pyjamas mit feinem Muster, und U. in einen aprikosenfarbenen Hosenanzug; sie braucht nicht viel, um etwas herzumachen, Lebendigkeit kann auch elegant sein. Und nach längerem Stehempfang endlich das eigentliche Fest in der Sala Stucki – prächtig geschmückte Tische und eine Bühne mit aller Technik, dazu ein per Boot herangeschaffter Flügel. Der Jubilar sitzt bei seiner Frau; die zwei erwachsenen Söhne halten die erste Rede im Duett. Und vor lauter Reden, darunter auch die eigene, kommt man kaum zum Essen, bereitet von einem aus Frankfurt eingeflogenen Lieblingskoch, der fünfzig Kilo Schwetzinger Spargel im Übergepäck hatte. Befreiend nach Essen und Reden die Musik – die Band aus Kalifornien kann einfach alles, wer mitmachen will, ist eingeladen. Der Spaßmacher O., der genauso aussieht wie der Spaßmacher O., singt überraschend leidenschaftlich Johnny B. Goode , aber auch der Gründer von Supertramp macht seine Einlage bestens. Das ungeübte Paar verschwindet gegen zwei; es hat sogar getanzt, und keine Kinder waren in der Nähe und haben sich vor Peinlichkeit abgewandt.
Einmal, nach Ende eines Oberstufenfestes, während schon aufgeräumt wurde im Keller unter dem Speisesaal, aber von M.s Tonband noch Musik kam, eine inoffzielle Musik, nachdem die Band gepackt hatte, haben er und ich getanzt, zu einem Adamo-Lied, ich glaube Notre Roman , dieses Lied mit dem hymnenartigen Rhythmus und den immer wiederkehrenden Wörtern visage , rose und la vie , die wir höchst betont mitsangen, obwohl wir Lateiner waren. Und irgendwie hatten wir’s auch geschafft, dass keiner den anderen beim Tanzen führte, und dennoch war es mehr als alles Auf-der-Stelle-Treten wie in den Stunden zuvor. Es war ein ungelenkes miteinander Schwanken, jeder die Hände um den Nacken des anderen, mal lachend, mal ernst, und in den ernsten Sekunden sogar mit geschlossenen Augen; seine waren erwiesenermaßen zu, als die des Partners aufgingen – was sich auch ohne genaue Erinnerung an diesen Moment sagen lässt. Es genügt das Bild, wie ich im Tagebuchheft unseren Tanz noch in derselben Nacht festhalte, während auch M. eine Eintragung macht, mit dem Rücken zu mir; irgendetwas hatte mich erschrocken beim Tanzen, eine Art Lapsus in dem sonst immer beherrschten Freundesgesicht (damals konnte er seine innere Verfassung noch nicht so gut aus dem Stand retuschieren).
Flug über die Alpen, die sich nur gelegentlich zeigen, mal mit einer Spitze, weißer als die Wolken, mal mit Geröll und kleinen, fast runden Seen, grau wie der Fels. Und auf eine dieser hochgelegenen namenlosen Lachen fällt die Sonne und lässt sie so nah erscheinen, dass man sich vorstellen kann, abzuspringen und weich in den Schneeresten auf der Moräne zu landen, um dann einmal um den Kleinstsee zu laufen – der schon wieder verschwunden ist hinter Wolken, während der Gedanke durch das Schreiben noch seine Kraft hat. Ich sitze am Fenster, von U. getrennt wie beim Hinflug; sie sitzt im Mittelblock und liest, ich sehe ihre Hand, die das Buch hält. Sie vertraut der Maschine und dem Piloten oder ganz dem Roman, der sie begleitet, während ich Augenmensch bleibe, trotz aller Mängel in dem Bereich, und das Schreiben, immer wieder von Blicken aus dem Fenster unterbrochen, mit dem Augenmenschsein im Widerstreit liegt; mal setzt sich das eine, mal das andere durch. Und jetzt, da die Alpen überquert sind und nach Flugroute erwartungsgemäß der Bodensee auftaucht, und der Passagier auch noch auf der richtigen Seite sitzt, mit Blick auf die Arme des Untersees, ist Sehen und Erinnern wie eins.
Ich kam mit zehn in diese
Weitere Kostenlose Bücher