ErosÄrger
hatte den Werbezettel zerknüllt und in den Papierkorb geworfen, bevor mein Auge die angegebene Mailadresse aufnehmen konnte. Doch davon ließ sich der Feenzauber nicht abschrecken. Mein Computer gab durch ein leises Bimmeln zu verstehen, dass eine neue Nachricht für mich eingetroffen war. Ungefragt poppte sie auf:
Hallo, ich bin Ihre gute Fee. Bitte folgen Sie dem Link, um sich mit mir in Verbindung zu setzen und Ihren *einen* Wunsch einzulösen. Liebe Grüße
,
Sabine
*PS. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass es uns aus technischen und organisatorischen Gründen nicht mehr möglich ist, mehr als einen Wunsch privater und nicht weltpolitischer oder ökologischer oder glaubenstechnischer Natur zu erfüllen. Ihr Wunsch betrifft Sie, nicht die Weltordnung
.
Ich starrte den Monitor an und überlegte, ob mein akuter Wunsch »Freiheit vor jedweder Art von Fee« unter das Kleingedruckte fiel. Schließlich kannte ich die kostenlose Institution, die es sich zu gemeinnützigen Aufgabe gemacht hatte, allen Menschen zu helfen – und die damit hoffnungslos überfordert war – und fühlte mich nicht gewillt, meine Zeit zu verschwenden. Mit einem unbehaglichen Gefühl löschte ich den Link zur Homepage www.gute-fee.de und beschloss das Einstandsgeschenk des Rates zu öffnen. Erst als ich das geschmacklose Geschenkpapier – braune, surrealistische Herzen auf rotem Grund – entfernt hatte, begriff ich, dass das Unbehagen nicht von Feen ausgelöst worden war, sondern von »Weisen Sprüchen für jeden Tag«.
Na prima!
Ich drehte den Kalender missmutig in der Hand. Das hat mir noch gefehlt.
Papier, welches sich für schlauer hielt als es war. Auf jeden Fall für schlauer als mich
. Trotzdem blätterte ich aus morbider Neugierde auf die erste Seite und las: »Wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht.«
Scheiße! Er IST schlauer, als ich
. Respekt vor dem wahrsagenden Papier und Wut auf mich hielten sich die Waage, als ich begriff, dass ich angefangen hatte, mich zu bewegen – und meine Fesseln deutlich spürte. Ach was! Ich war verschnürt wie eine Mumie, trug Betonschuhe, eine Stahlkugel, ein Elektrohalsband, einen Peilsender und war umzingelt. Nur um es mir bildlich vorzustellen, selbstverständlich.
Als die Tür aufgemacht wurde, zuckte ich schuldbewusst zusammen.
Nervös? Wer ich?
Hulda schloss die Tür hinter sich und legte die Furien-Akte auf den Kiefernschreibtisch. Ihr Blick war prüfend. »Du weißt viel von Katlyn, nicht wahr?!«
»Ja, sicher.« Ich war erstaunt, wie ruhig meine Stimme klang, normal und ehrlich.
Ehrlichkeitsverein und Co KG, Lilly Valentina am Apparat…
»Du solltest aufpassen, wenn du dich unbeobachtet fühlst … und aufhören, deine Haare um deinen Finger zu drehen, wenn du nervös bist.« Damit drehte sich die Holle auf dem Absatz um und hatte das Büro wieder verlassen, bevor ich mich gefasst hatte. Sie konnte es unmöglich wissen, nicht einmal im Ansatz. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte sie eine Ahnung, den Verdacht, dass der Rat und Katlyn die Menschenfrau Lilly Valentina getürkt hatten, aber sie konnte auf keinen Fall die ganze Wahrheit wissen. Das wäre mein Todesurteil. Unmöglich. Ich entspannte mich langsam. Irgendwann würde ich die Holle fragen. Nicht jetzt. Vielleicht wenn sie wiederkam, um die Akte zu besprechen.
Genau, wenn sie wiederkommt
. Ich lehnte mich in dem Bürostuhl zurück. So langsam bekam ich wirklich den Dreh mit der menschlichen Verdrängung raus. Ich wandte mich den Akten zu.
Gefühlte zweihundert Jahre später waren gerade 30 Minuten vergangen, ich hatte die Furien-Akte inzwischen zweimal gelesen, den aktuellen Kundenstamm aufgerufen – heute noch keine Kunden – war die Klienten der letzten Woche durchgegangen und hatte das sonst nie genutzte Radio angestellt. Schließlich gab ich meinen Versuch, beschäftigt zu wirken, auf. Ich nutzte eine halbe Drehung des Bürostuhls dazu, mich dem Sideboard näher zu bringen. Dort lagen die Zeitungen, die heute mein Informations-Budget gesprengt hatten.
Als habe jemand auf exakt diesen Augenblick gewartet, wurde die Tür aufgerissen. »… an das verdammte Interview? Ich kann ihn wirklich nicht ausstehen und habe keine Ahnung, was dann plötzlich geschehen ist. Es muss Magie gewesen sein, aber keiner glaubt mir … du weißt doch, dass ich niemals – nicht mit ihm – geschlafen hätte, wenn es keine Magie gewesen wäre.«
Ich drehte mich um. Und war genauso perplex wie Tatjana Franke, die
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