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Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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Steintreppen verwob seine Parks und Höfe miteinander. Hier hatten Amerikaner und Europäer in der Zeit nach dem Opiumkrieg, als Xiamen noch unter seinem fujianesischen Namen Amoy bekannt gewesen war, ihre Villen und Konsulate gebaut. Diese Ära war zwar längst vorbei, die Gebäude standen aber noch.
    Gerade noch. Wer sich auf Gulangyu Island umsah, wurde daran erinnert, dass Fujian ein tropischer Urwald gewesen war und am liebsten wieder einer werden wollte. Wenn die Menschen je von dort weggingen oder aufhörten, sich mit Baumscheren und Spannsägen gegen ihn zu wehren, würden die Schlingpflanzen und Lianen, die Wurzelsysteme, Sprossausläufer, Sporen und Samenschoten innerhalb von wenigen Jahren alles überwuchern, was je von Menschenhand gebaut worden war. Olivia kannte die Geschichte dieser Gegend nicht im Detail, aber es war offensichtlich, dass Gulangyu in der Mao-Ära genau so etwas widerfahren sein musste, und dass die Projektentwickler der Nach-Mao-Zeit im letzten Moment auf die Insel gekommen waren. Immer wieder konnte man ein altes, im westlichen Stil gebautes Haus sehen, das im Zeitlupentempo von Laubwerk zerrissen und allmählich so baufällig wurde, dass nur noch Ratten und Holz fressende Käfer darin wohnen konnten. Etliche dieser alten Häuser waren jedoch gerettet worden – Olivia stellte sich eine Invasion der Insel im selben Stil wie die Landung der Alliierten vor, bei der Gärtner mit Sägen und Schaufeln an Fallschirmen vom Himmel herabschwebten und die Strände stürmten – und wurden jetzt aus der dornigen oder blütenreichen Umarmung durch Weinrebengewächse erlöst, von Ratten befreit, mit neuen Dächern versehen, von Grund auf saniert und in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Ihre Wohnung war klein, aber hübsch gelegen im Dachgeschoss der ehemaligen Villa eines französischen Kaufmanns, die jetzt zwei Dutzend berufstätige junge Leute wie Meng Anlan beherbergte. Das Fußende ihres Bettes ging auf einen kleinen Balkon mit Blick übers Wasser auf die funkelnden Lichter der Innenstadt von Xiamen, und während dieser Nächte, in denen der Schlaf sich nicht einstellen wollte, setzte sie sich auf, umklammerte ihre Knie, starrte übers Wasser und fragte sich, welches dieser Fünkchen wohl der Bildschirm von Abdallah Jones’ Laptop sein mochte.
    Doch während die Wochen verstrichen und der Quadratkilometer in ihrem Kopf nach und nach eine Struktur annahm, schien es ihr langsam machbar zu werden. Neunzig Prozent der Gebäude konnte man einfach ausschließen. Das waren Gewerbeimmobilien oder Privathäuser. Falls Jones nicht irgendeine Abmachung mit einem Geschäftsinhaber oder einer wohlhabenden Familie getroffen hatte, was sie für äußerst unwahrscheinlich hielt, musste er in einem Mietshaus wohnen, und zwar nicht in irgendeinem: Es musste auf Durchreisende und Wirtschaftsmigranten eingestellt sein. Davon gab es in der Suchzone nur ein paar, und anhand verschiedener Kriterien war sie imstande, weitere von der Liste zu streichen. So gipfelten diese ersten paar Wochen der Verwirrung und Trübsal urplötzlich in einer kurzen Liste möglicher Jones-Verstecke.
    Rationale Gründe, sich für eins davon zu entscheiden, gab es nicht, aber ihr Bauchgefühl sprach deutlich für eine fünfgeschossige, in der Umgebung eher verrufene Bruchbude, die im feinmaschigen Straßennetz eines alten Viertels, aber doch so nah an dessen Rand lag, dass sie vermutlich zum Abriss verurteilt war, um einem Wolkenkratzer Platz zu machen. In der Zeit, als die Stadt noch Amoy hieß und reiche Europäer auf Gulangyu Weinkeller unterhielten, war es ein stolzes Gebäude gewesen. Vielleicht ein Hotel. Aber nun schon lange in einen Arbeiterwohnblock umgewidmet.
    Olivia gab vor, sich für ein Büro in einem Gebäude direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite zu interessieren. Die beiden Gebäude, gleich hoch und etwa gleich alt, waren durch mehrfarbige Stränge einer improvisierten Verkabelung miteinander verbunden. Der Vermieter wollte Olivia zu Büroräumen in den unteren Etagen bugsieren, wo der Zugang einfacher war und die Miete höher. Doch Olivia beherrschte es inzwischen, ihre »Suche nach Büroräumen« absurd in die Länge zu ziehen, indem sie Behauptungen über den hirnrissigen Geiz ihres Onkels in Guangdong aufstellte. Sie hatte eine ganze Reihe von Sprüchen auf Lager, dazu eine Kriegskasse voller Anekdoten über die Knauserigkeit von Meng Binrong. Mit deren Hilfe lotste sie den Vermieter in dem Gebäude immer höher

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