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Error

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Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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Schotter über. Zugleich wurde die Straße erheblich weniger steil, da sie dem Verlauf eines Nebenflusses folgte, der aus den Bergen dem großen, trägen Fluss entgegenrauschte.
    Olivia war nach wie vor – jedenfalls bildete sie sich das ein – sehr sensibel für das Verrückte, das, wie sie meinte, hier oben lauern musste. In ihrer Vorstellung war die kanadische Grenze zu so etwas wie dem Ende der Welt geworden, einer senkrechten Felswand, die geradewegs in den Abgrund des Abandon stürzte. Während sie ihr asymptotisch näher kamen, musste die Szenerie immer apokalyptischer und die Menschen, die dort zu leben beschlossen, entsprechend seltsam werden. Was natürlich vollkommen lächerlich war, denn auf der anderen Seite dieser imaginären Linie lag British Columbia, ein prosperierendes, wohlgeordnetes Land mit gesetzlicher Krankenversicherung, zweisprachiger Beschilderung und Mounties.
    Und doch gab es die Linie, sie war auf allen Karten eingezeichnet. Oder vielmehr, sie bildete den oberen Rand aller Karten, jenseits dessen nichts dargestellt war. Da die Menschen – zumindest bis zur Erfindung von Google Earth – nicht tatsächlich kilometerhoch über dem Boden schweben und die Welt so sehen konnten, wie Vögel und Götter sie sahen, mussten sie sich mit Karten behelfen, die das tatsächliche Sehen von Dingen ersetzten; und auf diese Weise konnten die Fantasiegebilde von Landvermessern und die Konventionen von Kartografen in jeder Hinsicht so real werden wie Felsen und Flüsse. Vielleicht in noch stärkerem Maße, da man jederzeit auf die Karte sehen konnte, wohingegen es mit viel Anstrengung verbunden war, sich zur physischen Grenze zu begeben und sie anzuschauen. Vielleicht könnte es also, was einige der Einheimischen anging, tatsächlich das Ende der Welt sein und ihre Denkweise entsprechend beeinflussen.
    Doch nun, da sie tatsächlich in diese Berge hinauffuhren, stellte sie fest, dass Menschen, und was sie dachten und taten und bauten, den geringsten Teil dieser Gegend ausmachten. Wie sonderbar die Einheimischen waren, spielte keine Rolle, da es so wenige von ihnen gab, die auf so großem Raum verteilt waren, in dem man sich so schwer bewegen konnte.
    Straßenschilder, von Schrotladungen und gelegentlich auch von einem Büchsengeschoss durchlöchert, beharrten darauf, dass sie sich auf Gelände des National Forest Service befänden und dass ebendiese Behörde auch für die Straßen zuständig sei. Und tatsächlich sahen sie häufig steile Schotterschneisen in Berghänge einschneiden, die gerade abgeholzt wurden oder in jüngster Vergangenheit abgeholzt worden waren. Doch ab und zu gelangten sie auch auf einen Straßenabschnitt, der – häufig in der Nachbarschaft von Flussquerungen – durch relativ flaches und leichter zu bewältigendes Gelände führte. An solchen Stellen gab es kleine Ranches, und manchmal bildeten mehrere Behausungen eine Art Weiler, der verstreut zwischen Kiefern und Zedern lag. Sie standen nicht nahe genug zusammen, um einander als Nachbarn zu bezeichnen, aber es ergab sich ein eindeutiger Eindruck von Orthaftigkeit, obwohl sie keinen Namen trugen und auf keiner Karte verzeichnet waren. Einige der Behausungen ließen einen Grad von Armut erkennen, den Olivia mit den Appalachen oder gar mit Afghanistan assoziierte. Aber während sie sich immer tiefer in das Tal hinein- und hinaufarbeiteten, wurden solche Orte weniger häufig; vielleicht hatten die Elemente sie auch schon zerstört. Denn so viel war klar: man musste zwar nicht reich oder auch nur wohlhabend sein, um in dieser Umgebung zu überleben, aber man musste über einige der Eigenschaften verfügen, die zu Wohlstand führten, wenn man sie an stärker besiedelten Orten anwandte. Die ordentlich unter Wellblechdächern gestapelten Raummeter Spaltholz, das selbst jetzt, am Ende des langen Bergwinters, noch reichlich vorhanden war, und viele andere derartige Einzelheiten verrieten Olivia, dass dieselben Leute, nach Spokane verpflanzt, dort bald kleine Betriebe führen und an der Spitze gesellschaftlicher Initiativen stehen würden.
    Sie fuhren in die Abenddämmerung und sahen ihren Weg das Tal hinauf von zwei großen Hunden verstellt, die sie als Eindringlinge klassifiziert hatten. Jedes dieser Tiere wog wahrscheinlich mehr als Olivia. Eines schien viel von einem Neufundländer zu haben, aber sie hatte keine Mühe sich einzureden, dass das andere weitgehend, wenn nicht zur Gänze, ein Wolf war. Aber beide trugen ein Halsband, und

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