Ersehnt
sein.«
Ich hatte es von ihr hören müssen. Ich konnte nicht fassen, dass sie einem Unsterblichen einfach so ihre Lebensenergie anbot. »Wovon redest du?« Ich hörte mich ein wenig alarmiert an und Tracy richtete sich auf und betrachtete mich. »Du ... legst deine Hände auf mich«, erklärte sie. »Und du weißt schon, dann nimmst du mich. Nimmst meine Energie.«
Ich setzte mich auf und stellte mein leeres Glas auf den Tisch.
»Und du wirst dich großartig fühlen.« Sie hatte wieder diesen schmeichelnden Tonfall. »Und ich ebenfalls.« Sie lehnte sich erneut gegen mich und legte den Arm um meine Hüfte. »Du fühlst dich ... total lebendig. So lebendig. Du wirst es lieben!«
Dieser Laden war ein Bordell - ein dunkles Bordell, das Unsterbliche aufsuchten, um sich von normalen Leuten zu nähren. Wie Vampire, wenn es denn welche gäbe. Und diese Leute, diese unfassbar dämlichen und selbstzerstörerischen Leute, boten sich auch noch an. Sie wussten über uns Bescheid und schienen auf diese ganze Unsterblichen-Sache total abzufahren. Aber wie und wieso? Und Incy kam gern her. Weil Incy gelernt hatte, wie es ging.
»Wie willst du dich danach großartig fühlen?«, fragte ich. Tracy blinzelte mich an. »Ich tue es einfach. Ich fühle mich danach so verträumt und schwebend. Und manchmal bin ich anschließend total müde. Einmal habe ich drei Tage lang geschlafen.« »Tracy ... du ... « Mir fehlten die Worte. »Du weißt, dass dich das umbringen kann, oder ? Jemand kann dir so viel Energie aussaugen, dass du dabei draufgehst. Dass du nur noch dahinvegetierst oder Schlimmeres.«
»Nein«, sagte sie ungläubig.
»Oh, doch«, versicherte ich ihr. »Auf diese Weise üben die meisten Unsterblichen Magie aus: Sie saugen Energie aus jemandem heraus und das kann denjenigen töten. Es ist ehrlich gesagt ziemlich widerlich.«
»Nein«, sagte Tracy wieder und schüttelte den Kopf.
»Doch. Wirklich«, beteuerte ich. Inzwischen erkannte ich genau, was hier vorging. Die normalen Leute sahen benommen aus, wie weggetreten. Die Unsterblichen wirkten großartig, voller Leben und Energie. Und das war nicht alles.
Neben all dieser Schmarotzerei von Lebenskraft war auch starke Magie zu spüren. Dunkle Magie. Ich spürte sie in der Luft, konnte sie beinahe riechen wie Ozon vor einem Gewitter. Das hier war ... ein wirklich gefährlicher Ort. Ein richtig dunkler, böser, gefährlicher, schlimmer Ort. Und ich musste hier raus.
Ich hatte Incy nicht mehr gesehen, seit er nach oben gegangen war. Katy und Boz lehnten lustlos an einer Säule, ohne sich mit jemandem zu unterhalten. Ich war ein bisschen überrascht, dass sie sich nicht voller Begeisterung in diese Sache gestürzt hatten. Natürlich waren sie keine schlechten Menschen, sie sahen manches nur einfach nicht. Waren unwissend. Machten sich keine Gedanken über die Konsequenzen.
Wie wir alle. Wie Boz gesagt hatte, neigten wir dazu, anderen alles wegzunehmen. Und hatten es immer getan. Er hatte Leute ruiniert, ein Mädchen in einen Selbstmordversuch getrieben, Herzen gebrochen. Genau wie Incy es auch tat.
Aber was mich wirklich ernüchterte, was mich traf bis ins Mark, war die Überzeugung, dass ich dies alles noch vor zwei Monaten sehr ... interessant gefunden hätte. Ich hätte nicht gewusst, wie man es macht, wäre aber bereit gewesen, es zu lernen. Ich glaube, es hätte mich nicht belastet, diesen Leuten ihre Energie zu stehlen und ihre Dummheit gnadenlos auszunutzen. Ich hätte gedacht, dass sie es nicht anders verdienten, weil sie es ja schließlich freiwillig anboten. Ich hätte deswegen keine einzige schlaflose Nacht gehabt. Es war ein abstoßender Gedanke, dass ich einmal so gewesen war. Eine Schande. Widerwärtig. Und was noch schlimmer war? Dass ich mich selbst jetzt so genau sah. Ich hatte mich verändert, daran bestand kein Zweifel. Ich hasste mich dafür, dass ich mich jetzt als das erkannte, was ich war. Es war grauenvoll, das alles über mich zu wissen. Ich würde nie wieder zu meiner alten Unwissenheit zurückkehren können, es nie vergessen.
Ich wusste nicht, ob ich River das jemals verzeihen konnte.
22
»Amüsierst du dich, meine Liebe?« Incy beugte sich über die Rückenlehne meiner Couch. Seine Augen leuchteten und er war rot im Gesicht und glücklich. Vorhin war er noch vollkommen aufgekratzt und nervös gewesen, aber als er sich jetzt neben mich setzte, kam er mir sehr ruhig und zentriert
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