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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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dieses Viertel sah genau so aus, wie es vermutlich war. Uns umgaben düstere zwei-und dreistöckige Häuser, von denen viele ausgebrannt schienen oder mit Brettern vernagelt waren, auf denen sich Sprayer verewigt hatten. Hinter Maschendrahtzäunen lagen vermüllte Baulücken und Teile des Zauns waren umgerissen worden. Sogar die Straßenlaternen waren entweder zerbrochen oder ausgeschossen worden. In der Dunkelheit sah ich gelegentlich die Spitze einer Zigarette aufglühen.
    »Was machen wir hier?«, fragte ich.
    »Wir besuchen Miss Edna«, sagte Incy und stieg aus.
    »Das ist echt gruselig hier«, stellte Katy fest.
    Cicely sah sie von oben herab an. »Dann bleib doch im Auto.«
    Katy schnaubte. »Und sitze drin, wenn es geklaut wird?
    Ganz sicher nicht.«
    »Kommt schon! « , drängte Incy, der ungeduldig auf und ab wippte.
    West Lowing schoss durch meine Gedanken wie eine Sternschnuppe. Dort schlossen die Leute ihre Autos nicht einmal nachts ab. Jeder kannte jeden. Einen Tag war ich bei der Arbeit gewesen und hatte draußen ein Auto stehen sehen. Es hatte ein Navi drin gehangen und auf dem Armaturenbrett klemmte ein iPod in einer Halterung. Die Fenster waren offen, niemand war in der Nähe und ich wettete bereits mit mir selbst, dass dieser Wagen ein paar Pfund leichter sein würde,wenn seine Besitzerin zurückkam. Aber obwohl min—destens zwanzig Leute vorbeigingen und ein paar Autos vorbeifuhren, war das ganze Zeug noch da, als die Frau wiederkam.
    Das war echt irre gewesen.
    Meine Tür wurde geöffnet und Incy streckte mir eine Hand entgegen. Er war gefühlsmäßig schon immer wie eine Achterbahn gewesen und konnte mühelos von Glückseligkeit über Wut zu Trauer und wieder zurück wechseln. Aber das hier fühlte sich anders an. Irgendwie ... bösartiger. Nicht nur ausgelassen, selbstsüchtig und gedankenlos, sondern kontrollsüchtig und dunkel. Hatte er sich während meiner Abwesenheit so sehr verändert? Oder war er schon immer so gewesen und ich hatte es nur nicht sehen wollen? Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass mein Wunsch, ihm zu helfen, ziemlich naiv war und eigentlich nur mir etwas brachte.
    Wie ich sehr gut wusste, musste man Hilfe wollen. Incy hatte zwar gesagt, dass er froh über meine Rückkehr war und dass ich ihm helfen würde, ein besserer Mensch zu sein - aber wir wissen doch alle, dass ich nicht einmal ein Tausendstel von Rivers Weisheit und Geduld besitze.
    »Willst du jetzt auch die Spaßbremse geben?«, fragte Incy und lachte sofort. »Nicht Nastasja! Nastasja kann mit mir mithalten!« Er sah mich liebevoll an. »Du und ich sind unzertrennlich. Wie Brot und Butter,«
    Das hatte ich bisher auch immer gedacht. Aber jetzt nicht mehr. Ganz und gar nicht.
    Ich stieg aus dem Auto.
    Cicely stand schon neben Incy, die Hände in den Taschen ihres Pelzmantels. Es fing an zu schneien und eine eisige Kältewelle hatte die Stadt ergriffen. Es war der kälteste und schneereichste Winter in Massachusetts, an den ich mich er;innern konnte. Katy und Boz, die beide aussahen, als hätten sie in eine Zitrone gebissen, stiegen ebenfalls aus. Incy drückte auf die Fernbedienung und die Türverschlüsse klackten zu. Dann schwenkte er kurz die Hand über den Wagen und murmelte etwas.
    Meine Augen wurden groß. »Incy, Ist das Magie?«
    Innocencio lachte. »Nur ein kleiner Zauber. Wir wollen doch, dass der Wagen noch da ist, wenn wir zurückkommen, oder?« Ohne auf eine Antwort zu warten, hastete er eine dunkle Gasse hinunter. Natürlich. Anscheinend konnten wir uns nicht amüsieren, ohne in gefährlichen Gegenden durch dunkle Gassen zu rennen.
    »Komm, Nastasja«, sagte Cicely. »Du wirst es lieben.«
    Ich hatte fast alles geliebt, was von Incy kam. Mit ihm hatte ich im letzten Jahrhundert mehr Spaß gehabt als in den drei Jahrhunderten davor. Wieso zögerte ich jetzt?
    Vielleicht weil dein Kopf jetzt nicht mehr im Sand steckt, meldete sich mein vorlautes Unterbewusstsein zu Wort. Und wer hat dich gefragt?, fauchte ich es an und rannte los, um Incy und Cicely einzuholen.
    Ich schaffte es bis ans Ende der Gasse, ohne ermordet zu werden. Dort stand ein großes Lagerhaus mit einer einzelnen Glühbirne, die vergeblich versuchte, etwas Licht auf die graue Metalltür zu werfen. Ich hörte keine Musik, spürte keine Bässe, die durch die Wände oder den Boden vibrierten. »Sagt nicht, dass wir jetzt Felswandklettern machen oder so was«, sagte ich.
    Cicely

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