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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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nie passiert«, verteidigte sich Incy. »Wir sind immer sehr vorsichtig.«
    »Wer hat dir beigebracht, wie es geht?« Die Heizung des Wagens arbeitete jetzt, aber ich zitterte immer noch am ganzen Körper.
    »Miss Edna «, sagte Incy und bog in die nächste Straße ein.
    »Fahren wir zurück in die Innenstadt?«, fragte Boz. »Wo sind wir?«
    »Wir sind in meinem Auto«, antwortete Incy übertrieben geduldig. »Es tötet sie nicht. Sie fühlen sich fantastisch und deshalb bieten sie es freiwillig an. Was daran ist eine Vergewal;tigung? «
    Ich hatte diese Diskussion satt, ich hatte Incy satt und ich wollte nur noch aus diesem Wagen aussteigen und irgendwo allein sein, um meine Emotionen rauszulassen. Ab morgen würde ich wieder anfangen, jegliche Gefühle zu unterdrücken. Anders ging es nicht.
    »Bei den Minderjährigen ist es auf jeden Fall Vergewalti;gung«, behauptete ich stur und lehnte den Kopf wieder ans Fenster. »Es ist einfach falsch.«
    »Was meinst du mit falsch?«, fragte Incy verblüfft. »Falsch für wen?«
    »Grundsätzlich falsch«, sagte ich. In meiner Brust brauten sich die Schluchzer zusammen wie Gewitterwolken. »Es gibt nämlich tatsächlich so etwas wie richtig und falsch und es macht einen Unterschied, für welche Seite man sich entscheidet.« Incy wendete den Blick von der Straße ab, um mich fassungslos anzustarren. »Wovon redest du da?«
    »Manche Dinge sind richtig, andere falsch.« Ich musste ihm das tatsächlich erklären.
    »Was weißt du denn schon!«, sagte Incy und warf mir damit fast dasselbe an den Kopf, was ich auch von Dray gehört hatte. Irgendwie schienen diese Worte zu meinem Leitmotiv zu werden. »Ausgerechnet du, die jahrzehntelang die Leute beklaut hat! Du, die Leute zum Sterben zurückgelassen hat, um die eigene Haut zu retten! Das bin ich, dem du von deiner Kanzel herunterpredigst, Nas. Ich. Ich habe dich Dinge tun sehen, für die dir eine Kakerlake einen Highfive geben würde! Was ist mit dem Zugunglück in Indien? Wie viele Leute hast du da gerettet? Ach, warte - du warst ja zu sehr damit beschäftigt, ihre Wertsachen aus dem Gras zu klauben und deine Taschen damit vollzustopfen! «
    »Das war damals!«, verteidigte ich mich, aber das Wissen, dass alles stimmte, brannte doch wie Feuer. Incy hätte noch tagelang weitermachen und mir all die schlimmen Dinge vorwerfen können, die ich getan hatte. Ich konnte mich nicht einmal mehr an alle erinnern, selbst wenn ich es für den Rest meines Lebens versuchen würde.
    Incy lachte höhnisch auf.
    Mir lagen schon ein paar bissige Retourkutschen auf der Zunge, aber ich verschluckte sie. Es war sinnlos, ihn an seine eigenen Verbrechen zu erinnern. Er hatte recht. Es stand mir nicht zu, über ihn zu urteilen.
    »Das war damals«, wiederholte ich halbherzig. »Aber jetzt kann ich zwischen richtig und falsch unterscheiden und werde dieses Wissen nicht wieder los.« Ich war von mir und meiner Vergangenheit so angewidert, dass ich kaum sprechen konnte. In meiner Verzweiflung schloss ich die Augen. Sofort sah ich Reyns Gesicht vor mir, streng und abweisend, dann konzentriert und schließlich erhitzt vor Begierde, als wir unsereVergangenheit und unsere Gegenwart mit einem einzigen Kuss verschmolzen.
    Ich hatte ihn weggeworfen wie einen abgenagten Apfel. »Ich will mich ja nicht einmischen«, sagte Boz, »denn ich finde das Thema todlangweilig. Aber ich würde in Zukunft lieber in einer anderen Bar abhängen.«
    »Ich auch«, sagte Katy.
    »Ich auch«, murmelte ich und meine Stimme klang so gebrochen, wie ich mich fühlte.
    Eine Weile herrschte Schweigen, obwohl Incy halblaut vor sich hin murmelte. Wahrscheinlich verfluchte er uns als undankbare Verräter. In meinem Innern wand ich mich vor Schmerzen und meine Gedanken schossen mir in panischer Hysterie durch den Kopf. Ich war verloren, ich war allein. Ich hatte nichts und niemanden, der mir helfen konnte.
    Als Incy wieder etwas sagte, klang seine Stimme sanft, beinahe interesselos.
    »Es tut mir wirklich leid, dass ihr so denkt«, sagte er und schleuderte seine Hand zur Seite, als wollte er Wassertropfen abschütteln.
    Und plötzlich ertrank ich in Dunkelheit.

23
    Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Hände, meine
    Füße - alles an mir wog eine Tonne. Ich konnte immer noch alles fühlen, aber selbst mit der größten panischen Anstrengung brachte ich nur eine Bewegung meiner Augen zustande.
    Die Welt sah aus, als wäre sie

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