Ersehnt
Muskel protestierte und mir Schimpfworte zu;rief.
Auch Incy richtete sich wieder auf. Ich war jetzt wachsamer und taute unter der knuffigen Wärme seines Mantels schnell auf. Ich musterte sein Gesicht sehr genau, aber falls er wirklich seit unserer letzten Begegnung verrückt geworden war, sah man es ihm nicht an. Doch vielleicht waren all meine Träume und Visionen genau das, was ich fürchtete: eine Projektion meiner inneren Dunkelheit - entsprungen aus meiner bisher gut versteckten Quelle des Selbsthasses? Der Gedanke war so deprimierend, dass ich beinahe laut aufgestöhnt hätte.
»Tatsache ist, Nas«, fuhr Incy fort, »dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe.«
»Sorgen? Wieso?«
»Nas - du bist ohne ein Wort verschwunden.« Sein Ton war sanft und seine Argumentation klang durchaus vernünftig. Von uns beiden hier in diesem gottverlassenen Feld war ich diejenige, die verrückt aussah.
Als ich nichts sagte, sprach er weiter.
»Hör zu, wir haben immer kleinere Reisen allein unternommen. Aber ich hätte dir eine Nachricht hinterlassen.
Oder du hättest mich von Bali oder sonst wo angerufen. Aber diesmal bist du einfach verschwunden und niemand wusste, wieso oder wohin oder ob dir etwas passiert ist.« Ein eisiger Wind kroch unter den Rand des Mantels. Ich sah, wie Incy schauderte und seine Hände aneinanderrieb.
»Wir waren ein ganzes Jahrhundert unzertrennlich, Darling. Wenn du weiterziehen willst, wenn unsere Freundschaft beendet ist, ist das okay. Aber sag es mir bitte. Lass mich
nicht im Ungewissen, ob dir vielleicht jemand den Kopf abgeschlagen hat oder so.« Er klang so vernünftig. Verwirrung machte sich in meinem Hirn breit. Es war mir unbegreiflich, dass er offenbar nicht so war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich war voller Angst und Ekel vor ihm weggelaufen wegen dieses Taxifahrers. Aber der Incy jener Nacht war nicht mit dem Mann zu vergleichen, der jetzt vor mir stand. Hatte ich mir wirklich alles nur eingebildet?
Ich leckte mir über die aufgesprungenen, trockenen Lippen. »Ich brauchte einfach eine kleine Auszeit.«
Er hielt mir die Hände entgegen: ein geistig gesunder Typ, der eine Irre beschwichtigt. »Okay, Das ist in Ordnung. Das akzeptiere ich. Aber du verstehst doch, wieso ich mir Sorgen gemacht habe, oder?« Er atmete aus und hinterließ eine Dampfwolke in der Nachtluft. »Ich habe jeden nach dir ge;fragt. Ich habe es sogar mit einer Kristallkugel versucht!« Er lachte und zeigte dabei seine makellosen weißen Zähne. Ich wusste noch, wie er sie sich hatte machen lassen - das war in den Achtzigerjahren gewesen. »Das hat mich natürlich kein Stück weitergebracht. Aber Darling, ich war wirklich beunruhigt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht ruhen,solange ich nicht wusste, dass es dir gut geht - dich nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Auch wenn du nur verschwinden und etwas Neues ausprobieren wolltest, musste ich sichergehen, dass dir nichts Schreckliches zugestoßen ist.« Er blies auf seine Hände und rieb sie aneinander. »Hätte ich es aufgegeben und später herausgefunden, dass du meine Hilfe gebraucht hättest - ich glaube, damit hätte ich nicht leben können.«
»Und wie kannst du damit leben, was du diesem Taxifahrer angetan hast?«, platzte ich heraus.
Er legte den Kopf schief, überlegte einen Moment, dann erhellte sich sein Gesicht. »Ach, der Taxifahrer «, sagte er, als fiele es ihm erst jetzt wieder ein. »Wieso, Nas - hat dich das etwa gestört?«
»Du hast ihn verkrüppelt! Für immer!« Ich straffte meine Schultern und mein Blut rauschte jetzt warm durch meine Adern.
»Das habe ich«, sagte er langsam. »Das habe ich. Ich war wütend. Er hatte Katy aus dem Taxi gezerrt und sie hat sich übergeben und er war so voller Hass. Ich weiß noch, dass ich das Gefühl hatte, er würde Gift auf uns spritzen. Und da bin ich ausgerastet.«
Er zog keine große Show ab, um seine Unschuld zu beteu;ern oder seine Tat zu rechtfertigen. Er versuchte auch nicht, es mit einem Lachen abzutun. Stattdessen starrte er in die Ferne, als wollte er sich an jene Nacht erinnern. Er seufzte und stieß dabei eine weitere Dampfwolke aus. »Baby, war das der Grund, weshalb du gegangen bist?«
»Es gab eine Menge Gründe«, murmelte ich.
Er schwieg, als müsste er damit klarkommen. »Okay«, sagte er. »Es tut mir leid zu hören, dass ich Mitschuld daran trage. Ich wünschte, du hättest gleich mit mir
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