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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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begegnet? Das kannst nur du.« Wir waren immer gnadenlos gewesen und hatten kein gutes Haar an den Klamotten und Frisuren unserer Mitpassagiere gelassen, während wir gemütlich an der Bar saßen. Ha, als könnte ich es mir erlauben, über die Klamotten oder die Haare von anderen Leuten zu lästern - so wie ich aussah. Das gab den Ausschlag: Die Kreuzfahrt klang einfachhimmlisch. Sechzig Tage lang Leute beobachten, tolle Dinge sehen und nicht nachdenken müssen. Nicht arbeiten, lernen oder mich in irgendeiner Hinsicht würdig erweisen. Reyn nicht sehen müssen, nicht mitbekommen, wie Amy ihn anhimmelte. River nicht sehen müssen, die mir eine Chance nach der anderen gab.
    Ich war vor Incy weggelaufen, weil ich mir eingeredet hatte, dass er gefährlich und böse war.
    Aber ich war auch schon vor River weggelaufen. Irgendwie rannte ich dauernd. Ich bin eben nicht der Augen—zu-und-durch-Typ. Aus irgendeinem Grund sah ich Reyn vor mir, wie er mich für meine Feigheit verachtete und meine Flucht verurteilte. Er würde mich für einen Jammerlappen halten.
    Wie gut, dass es mir vollkommen egal war, was Reyn dachte. Diese ganze Situation war sowieso total unmöglich. Das wusste ich selbst.
    Nichts schien sicher oder felsenfest zu sein. Keine meiner drei Wahlmöglichkeiten war besonders verlockend.Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte, aber was immer ich wählte, würde enorme Auswirkungen auf mich und mein Leben haben.
    »Kann ich bitte ein Zeichen kriegen?«, flehte ich lautlos. Göttin? Universum? Irgendwer? Irgendwo? Gebt mir ein Zeichen. Sagt mir, was ich tun soll.
    Bitte sagt mir doch, was ich tun soll ...
    »Nas?« Incys Stimme war ganz sanft. »Komm mit ins Auto. Ich kümmere mich um dich, einverstanden?«

18
    Drei Stunden später tauchten die Millionen heller Lichter von Boston vor uns auf. Wir hatten vor einer Weile angehalten und Wein und ein paar Schokoriegel gekauft und ich muss sagen, dass beides für sich absolut lecker ist, zusammen aber echt widerlich schmeckt.
    Incy schaute immer mal wieder zu mir herüber und lächelte. »Was?«, fragte ich.
    »Ich bin so froh, dich zu sehen«, sagte er. »Ich weiß, dass das blöd ist, schließlich bist du ein großes Mädchen, aber ich konnte meine Sorge um dich einfach nicht abschütteln. Außerdem war es auch für mich ziemlich hart.« Er lachte trocken auf. »Ich meine, genug von dir. Lass uns über mich reden. Ich war so daran gewöhnt, alles mit dir zusammen zu machen, dass ich eine Zeit lang wirklich von der Rolle war.« Ich trank noch einen Schluck Wein - es war der beste, den der Supermarkt am Highway 2 zu bieten hatte - und spürte das erste kleine Alarmsignal, seit ich zu Incy ins Auto gestiegen war. Wie sehr war er von der Rolle gewesen? War das Einsteigen in diesen Caddy das Blödeste, was ich je getan hatte? Ja, schon gut - ich meine natürlich abgesehen von der Blödheit an sich, mich ihm wieder anzuschließen. War ich freiwillig zu einem Killer ins Auto gestiegen?
    »Was meinst du damit?« Man beachte meine persönliche Reife: Ich verfolgte etwas, was ich eigentlich gar nicht hören wollte, aber vermutlich wissen sollte. Es war etwas völlig Neues und Fremdes für mich, meine ganzen Lektionen in die Tat umzusetzen. Ich beobachtete Incy aus dem Augenwinkel für den Fall, dass er plötzlich durchdrehte oder sich in einen Werwolf verwandelte oder so.
    Aber er kicherte nur verlegen. »Mir war nicht klar, wie abhängig ich von dir geworden bin«, gestand er freimütig. »Ich war so daran gewöhnt, dich nach deiner Meinung zu fragen, mit dir Pläne zu schmieden und mit dir etwas zu unternehmen. Als du dann plötzlich weg warst, bin ich hilflos und jammernd herumgewandert, bis Boz mir schließlich eine geklebt hat und schimpfte: >Reiß dich gefälligst zusammen, Mann.<«
    Den letzten Satz sagte er mit einem englischen Akzent, als zitierte er aus einem Film, und lachte dabei.
    »Aha«, sagte ich und beobachtete ihn weiter.
    Incy zuckte mit den Schultern. »Ich habe dich immer ver— misst - das hat nie aufgehört -, aber inzwischen habe' ich  gelernt, selbst zu baden und mich allein anzuziehen.« Nein, das hatte ich nie für ihn getan. Das fehlte noch. Erübertrieb maßlos.
    »Oh.«
    »Dann habe ich angefangen, du weißt schon, Pläne für mich allein zu machen.« Noch ein verlegenes Schulterzucken. Und er wirkte so unglaublich normal. Unfassbar normal und gesund, sogar noch mehr als vor meiner Flucht. War meine Abwesenheit

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