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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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und uns angeschrien hätte.« Er rammte den Gang rein und fuhr langsam an. »Hast du die Decken reingeworfen?«
    Kate nickte. Ihr Magen hatte sich verkrampft, und sie spürte ein Zittern.
    »Etwas da draußen ruft sie zu sich.«
    »Na, soll es nur rufen. Aber hingehen sollte sie nicht.« Greg warf das Steuer herum, um den Land Rover auf den Weg zu bringen. Er spürte, wie die Reifen seitlich wegrutschten, als sie versuchten, im Schlamm Halt zu finden.
    Unter den Bäumen wurde ihnen plötzlich bewußt, wie bald die Dämmerung hereinbrechen würde. Die Schatten unter der Kiefer und der Lärche waren von einem weichen Schwarz; etwas weiter entfernt war der Wald schon tief schwarz. Die Scheinwerfer schnitten eine Bahn durch das Unterholz und erleuchteten Flecken von Gelb, wo Irrlichter trotz der Kälte bereits die ersten Zeichen des Frühlings vorauswarfen.
    »Meinst du, wir sollten nach Fußspuren Ausschau halten, um sicherzugehen, daß sie hier entlanggekommen ist?« fragte Kate zögernd. Sie hielt sich in dem Versuch, nicht vom Sitz zu rutschen, an der Tür fest.
    »Wir wissen, daß sie hier entlanggekommen ist.« Greg warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber. »Schnall dich an, dann wirst du nicht rausgeschleudert, wenn wir umkippen. Auf diesem Weg kommen wir bald nicht mehr durch, wenn das mit dem Wetter so weitergeht.« Sie fuhren über ein Schlagloch, und er riß das Lenkrad herum, um das Auto am Schleudern zu hindern.
    »Wenn du vielleicht ein bißchen langsamer fährst.«
    »Wir müssen unbedingt vor ihr da sein. Heiliger Strohsack!« Er riß am Schaltknüppel und schaffte es, den Wagen zurück auf den Weg zu bringen. Ein Spritzer aus Regentropfen traf die Windschutzscheibe, als sie einige Efeu- und Klematisranken streiften. Die nackten, hölzernen Zweige der Waldreben hatten bereits winzige neue Knospen. Vor ihnen, auf dem Weg, bewegte sich etwas. Er fuhr langsamer, und beide spähten durch die verschmierte Windschutzscheibe. »Was war das? Ist das Allie?« Kate beugte sich voll gespannter Ungeduld nach vorn.
    Er schüttelte grimmig den Kopf. »Ein Reh.« Er drehte das Lenkrad herum. »Mein Gott, wie weit ist sie denn gekommen?«
    »Gibt es noch einen anderen Weg? Könnte sie eine Abkürzung genommen haben?«
    »Eigentlich nicht. Das ist die Abkürzung.«
    Kate sah zu ihm hinüber. Die Sorge hatte sich deutlich in sein Gesicht eingegraben, die Falten zwischen Nase und Mund zeichneten sich klar und tief ab. Obwohl er sich dauernd mit seiner Schwester zankte, spürte er offensichtlich eine tiefe Liebe zu ihr. Sie fühlte eine Welle von etwas wie Zuneigung zu ihm. Sie zugehe den Impuls, tröstend seine Schulter zu berühren, und schielte wieder zur Windschutzscheibe hinaus. »Es ist ihr bestimmt nichts passiert. Wir finden sie.«
    »Und ob.«
    Sie fuhren mehrere Minuten schweigend weiter, dann stieß Kate einen Schrei aus. »Da ist sie! Dort drüben.«
    Greg warf das Lenkrad herum. Der Land Rover verließ den Weg und steuerte auf die Gestalt zu, die Schutz unter einem Baum gesucht hatte. Sie hatten bereits neben dem Baum angehalten, und Greg machte schon die Tür auf, als beide im gleichen Moment merkten, daß es nicht Allie war. Die Gestalt, die auf sie zu taumelte, war die eines Mannes. Kate erkannte ihn erstaunt.
    »Bill!« Sie sprang von ihrem Sitz und lief um den Wagen herum. »Bill, was tust du hier?«
    »Paß auf. Er ist verletzt.« Greg hielt sie am Arm fest, so daß sie stehenbleiben mußte. Im Licht der Scheinwerfer konnten sie beide den Strom von Blut sehen, der ihm über das Gesicht lief.
    »Bill?« Kates Magen zog sich aus Angst zusammen. Sie legte die Hand auf Bills Arm. »Bill, bist du okay? Ich bin‘s, Kate.« Die Augen, die er auf sie richtete, waren völlig leer.
    »Ich hole eine von den Decken.« Greg drehte sich um und rannte zurück zum Auto. Als er wiederkam, legte er Bill die warme Decke um die Schultern. »Kannst du gehen, alter Junge? Los, nur ein paar Schritte. Kate, mach die hintere Tür auf. Hilf mir, ihn reinzuheben. Mein Gott, was ist bloß mit ihm passiert?«
    Kates Mund war trocken vor Angst. Sie half Greg, Bill auf den Rücksitz hochzuhieven. Er war groß, und seine Arme und Beine schienen nicht mehr aufeinander abgestimmt zu sein. Sie konnte spüren, wie er unter der dicken Decke zitterte. Sie kletterte neben ihm in den Wagen und tastete nach seiner Hand. Sie rieb sie sachte, entsetzt über die Kälte seiner Haut. »Ich glaube, wir sollten ihn ins Krankenhaus bringen, Greg«,

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