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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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»Kate!« Plötzlich fand er seine Stimme wieder. »Kate, wo sind Sie?« Er lief die kurze Treppe hinunter, zwei Stufen auf einmal, und warf sich gegen die Küchentür. Die Küche war leer. Er starrte voller Verzweiflung um sich. Sie mußte einfach hier sein. Bitte, lieber Gott, laß sie hier irgendwo sein.
    Patrick blickte sich gehetzt um, machte auf dem Absatz kehrt, lief zur Haustür und riß sie auf. Alles, woran er denken konnte, war, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
    Draußen war die Dunkelheit undurchdringlich und naß, wie auf dem Grunde des Meeres. Er konnte nichts sehen und nichts hören, bis auf den Wind. Als er zögernd einen Schritt vortrat, hörte er, wie hinter ihm die Tür zuschlug. Voller Angst sah er sich um. Das Fahrrad war nicht mehr da. Er konnte es nicht finden. Es war verschwunden.
    Einen Augenblick lang dachte er in heller Panik daran, den Land Rover zu nehmen. Er war schon damit gefahren, auf dem Feldweg. Er rannte hin, öffnete die Tür, sah hinein. Es steckte kein Schlüssel im Zündschloß. Mit einem enttäuschten Schluchzen warf er die Tür zu und blickte wieder um sich.
    Wo war sein Rad? Es mußte hier sein. Verzweifelt lief er ein paar Schritte den Weg hinauf, und plötzlich sah er es. Es lag direkt vor ihm. Er konnte aber nicht mehr rechtzeitig anhalten und war darüber gefallen, ehe er wußte, wie ihm geschah. Er schlug sich die Schienbeine und auch die Stirn auf und spürte das warme Rinnsal aus Blut die Beine und das Gesicht hinunterlaufen, aber er achtete nicht darauf. Er richtete das Rad auf und tastete mit tauben Füßen nach den Pedalen. Erst als er wieder auf dem Weg durch den Wald war, sein Gesicht von Regen und Blut überströmt, merkte er, daß er sein Ölzeug auf dem Badezimmerboden im Cottage liegengelassen hatte.

XLII
    Auf halbem Weg zurück hatte Patrick einen Platten im Hinterreifen. Das Rad pflügte sich tief in den Schlamm und blieb stecken. Keuchend versuchte Patrick, es mit Gewalt vorwärtszubringen, dann gab er auf, den Tränen nahe. Um ihn herum schien der Wald bedrohlich nahe zu kommen. Er packte die Fahrradlampe, löste sie aus der Halterung und leuchtete damit in einem großen Bogen die Umgebung ab. Die Bäume hingen über ihm, klauenbesetzte Finger wie aus einem Märchenbuch griffen nach ihm, lauerten darauf, nach seinem Fleisch zu schnappen. Ihre Stämme waren zu grinsenden Fratzen verzerrt, und von ihren Zweigen tropfte der Schneeregen, als sei es Säure, die ihm das Gesicht zerfressen wollte.
    Schluchzend begann er zu laufen. Seine Stiefel fanden kaum Halt und rutschten immer wieder weg. Sein Körper war schweißgebadet, und das Licht der Fahrradlampe, die er umklammert hielt und die die Pfützen erleuchtete, wurde von den funkelnden Schneekristallen im schwarzen, sirupartigen Schlamm so zurückgeworfen, daß es ihn blendete. Er war noch keine hundert Meter gekommen, als er œ gekrümmt und mit einem quälenden Seitenstechen œ stehenbleiben mußte. Keuchend legte er seine Hand auf die Hüfte. Da sah er im Schatten der Bäume eine Gestalt.
    Das Stechen verschwand wie von Zauberhand. Langsam richtete er sich auf. Er widerstand dem Drang, die Lampe auszuknipsen. Langsam leuchtete er einen Bogen aus, ließ das Licht über das glänzende Schwarz der Zweige spielen und sah, wie die Schatten zurückwichen und sich außerhalb der Reichweite des Lichtstrahls neu formierten. Er hielt den Atem an. Wenn es Kate oder Greg wären, hätten sie sich bei seinem Anblick sofort zu erkennen gegeben. Das Bild von Bills zerschlagenem, totem Gesicht stand ihm plötzlich wieder vor Augen, und einen Moment lang raubte es ihm den Atem. Er machte mehrere Schritte rückwärts und spürte mit einemmal den schmalen Stamm einer Fichte im Rücken. Wenigstens konnte ihn so niemand von hinten angreifen. Unter dem Baum war der Geruch von Harz rein und scharf und stark. Er bekam dadurch einen klareren Kopf. Er leuchtete erneut mit der Taschenlampe um sich. Es war niemand da. Er kauerte sich hin und versuchte, ruhiger zu atmen, denn sein Keuchen schien ihm ohrenbetäubend laut zu sein.
    Er war sich nicht sicher, wie lange er so verharrt hatte, als er heftig zu zittern begann. Der Schneeregen drang durch seinen dicken Pullover, und ihm war eiskalt. Zwischen den Bäumen gab es nicht die Spur einer Bewegung mehr. Wer immer es gewesen war, er war lange fort. Er hatte Krampfe in den Beinen. Vorsichtig trat er vor und richtete sich auf. Er leuchtete noch einmal mit der Lampe um sich,

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