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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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herumlaufen«, flüsterte er.
    »Das ist ein Notfall. Stolper nur nicht.« Sie waren mittlerweile dort, wo er gestanden hatte. Sie sah auf den Boden. Es gab keine Fußspuren im Schlamm.
    »Marcus?« Sie hauchte den Namen.
    Patrick ließ das Gewehr sinken. »Mir gefällt das gar nicht, Kate. Und wir müßten längst auf der Straße sein.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Wir haben uns verirrt.«
    »Wie groß ist dieser Wald?« Sie suchte den Boden immer noch nach Fußabdrücken ab. Hier und da, wo der Boden weich war, entdeckte sie die Spur eines Kaninchens und die tiefen, scharf geschnittenen Spuren eines Rehs, aber keine, die ein Mensch hinterlassen hatte. »Hunderte von Morgen. Auf der anderen Seite sind Nadelbaumschonungen. Meilenweit.« Er zitterte sichtlich.
    »Findest du zurück zu eurer Farm?« Sie sah ihn an. Der Junge war den Tränen nahe.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo wir sind.«
    »Also gut«, meinte sie zuversichtlich. »Denken wir nach. Dein ursprünglicher Plan, immer dem ansteigenden Gelände zu folgen, klingt vernünftig. Wir können nicht den ganzen Tag hier draußen bleiben; wir dürfen nicht aufgeben. Also los. Am besten, wir gehen nur bergauf. Wenn wir dann, wie du sagst, auf die Straße stoßen, ist alles in Ordnung.« Sie versuchte, sich im Geiste ein Bild von der Landkarte zu machen. Das Meer mußte im Osten liegen; die Flußmündung im Süden. Blieben nur zwei Richtungen: nach Norden, wo die Straße von Osten nach Westen zur Küste führte, oder nach Westen, wo sich vermutlich der Wald bis zu der trostlosen, landwirtschaftlich genutzten Grassteppe östlich von Colchester und südlich der sanft bewaldeten Bodenfalten des Stour-Tals erstreckte.
    »Komm schon, Paddy. Wir können uns nicht verirren. Nicht hier. Schließlich ist das kein unerforschtes Gebiet. Uns wird nur langsam kalt, und müde werden wir auch.«
    »Und verängstigt«, warf er ein. Sie wünschte, er hätte es nicht gesagt.
    »Also gut, und verängstigt.«
    »Sie denken, es ist Marcus, stimmt‘s?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich will auch nicht mehr denken. Sparen wir uns unsere Kraft für das Gehen auf.«
    Er zögerte, wollte etwas sagen, dann überlegte er es sich anders. Er sicherte das Gewehr und hängte es wieder über die Schulter. »Okay. Wo, würden Sie sagen, geht‘s nach oben?«
    Sie blickte sich um. »Immer den Wildwechsel da rauf. Soll ich vorangehen?« Der Weg war so schmal, daß sie hintereinander gehen mußten. Sie sah, wie er zögerte, und wußte, daß er nichts lieber als Ja sagen würde. Aber seine Ritterlichkeit oder männlicher Stolz, oder der Besitz des Gewehrs, oder etwas von allen dreien siegte, und er schüttelte den Kopf. »Ich gehe zuerst. Sie können mir den Rücken decken.« Sein Kichern grenzte an Hysterie.
    Zwei Minuten später blieb er stehen und schnappte vor Entsetzen nach Luft. Der Schatten auf dem Weg war nur ein paar Meter von ihnen entfernt. Ein eisiger Wind wirbelte um ihn herum, peitschte Blätter und Erde vom Boden auf, heulte durch die Zweige der Bäume nach oben, wurde immer stärker, bevor er sich zu einem Schrei erhob, als der Haß und die Wut sie trafen wie etwas, das sich mit Händen greifen ließ. Kate hörte, daß Patrick einen Schrei ausstieß, und sie sah, wie er zur Seite taumelte und das Gewehr in die Luft flog. Einen Augenblick lang bekam sie keine Luft. Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Die Füße versagten ihr den Dienst. Sie hörte einen gewaltigen Knall, und plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen.

LI
    Fett, zuversichtlich, arglos starben die Priester wie Schafe; ihre Kehlen ließen sich durchschneiden wie Butter. Auf den Lippen hatten sie noch ein entrüstetes, protestierendes Winseln, als sie zu Boden fielen. Soviel zur Macht ihrer Götter! Er wischte sein Messer an einer Falte seines Mantels ab und steckte es triumphierend lächelnd zurück in die Scheide. Damit war die Sache erledigt. Die Britannier, die Hure, alle tot, alle auf dem Weg in den Hades. Niemand würde es je erfahren. Die Trinovanter würden nie einen Grund zur Rebellion von ihm geliefert bekommen. Dieses kleine Drama endete am Rande des Sumpfes, wo es auch begonnen hatte. Wenn hier Männer verschwunden waren, würde man annehmen, daß die Götter mehr als ein Opfer verlangt hatten; sie waren gierig, diese britannischen Götter; sie dürsteten nach Blut wie Hunde in der Arena. Er verschränkte die Arme und

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