Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
wirklicher Zuversicht voraus, den hohen rutschigen Abhang hinauf, der aus dem Dickicht und, wie er hoffte, nach Norden führte.
Zehn Minuten später blieb er stehen. »Es müßte hier so eine Art Waldweg geben. Aber er könnte zugewachsen sein.« Er klang unsicher.
»Hast du einen Kompaß?« Alle Jungen auf dem Land behängten sich doch mit so etwas.
Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne diesen Weg wie meine Westentasche.«
Sie enthielt sich eines Kommentars.
Er räusperte sich. »Es wird immer dunkler.«
»Ich weiß. Bald schneit es wieder. Man kann es riechen.«
Er lächelte. »Und dabei hat Greg gedacht, Sie seien Lady Muck aus der Stadt. In vieler Hinsicht wissen Sie mehr über das Land als er.«
»Das mag sein -« Sie verstummte, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Sie wirbelte herum und starrte in die Schatten der Bäume. »Was war das?« flüsterte sie.
»Wo?« Er riß sich das Gewehr von der Schulter.
»Es war, als hätte sich etwas bewegt.«
Sie starrten schweigend in die Dunkelheit, Seite an Seite.
»Wahrscheinlich ein Kaninchen oder ein Reh«, flüsterte Patrick.
Sie versuchte, das dichte Gebüsch mit ihren Blicken zu durchdringen. Da war es wieder, ein Schatten vor den Schatten. Aufrecht. Ein Mensch. »Da.« Ihr Flüstern war kaum zu hören. »Da ist jemand.«
»Was sollen wir tun?« Patricks Stimme wurde vor Panik höher, und das erinnerte sie daran, daß er noch ein Schuljunge war und wahrscheinlich noch mehr Angst hatte als sie.
»Ich weiß es nicht. Er muß uns gesehen haben.«
»Glauben Sie, daß er ein Gewehr hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kaum. Das wüßten wir mittlerweile.«
»Soll ich auf ihn schießen und versuchen, ihn zu vertreiben?«
»Ich weiß nicht.« Sie hatte wieder angefangen zu zittern. »Was, wenn ihn das nur wütend macht?«
»Wenn er dann auf uns losgeht, wissen wir wenigstens, wer er ist. Und ich kann ihn dann wirklich erschießen.« Sie sah, wie Patricks Finger sich um den Abzug legte.
Sie hatte nur eine Sekunde lang den Blick von dem Schatten abgewandt. Jetzt, als sie wieder hinschaute, war er näher gekommen. Er war groß; dunkel. Zu ihrem Entsetzen sah sie, daß er sich sehr schnell bewegte. Er schien keine Probleme mit dem Wirrwarr aus Gestrüpp zu haben. »Ja. Los, schieß.« Sie hörte, daß ihre Stimme vor Angst zitterte.
Der Gewehrknall war gewaltig. Er hallte durch den Wald, wurde von den Bäumen zurückgeworfen und machte sie vorübergehend taub. Ein Fasan flog schreiend auf, gefolgt von einem Paar Tauben mit laut klatschenden Flügeln. Patrick ließ vorsichtig das Gewehr sinken und fühlte in seinen Taschen nach den Patronen. »Wo ist er geblieben? Habe ich ihn getroffen?« Zu seinem Verdruß wußte er nicht, ob er auf die schemenhafte Gestalt gezielt hatte oder nicht. Er hatte zuviel Angst gehabt, um zu denken.
»Ich sehe nichts.« Sie starrte in die Bäume, richtete den Blick angestrengt auf die dunkelsten Ecken. Es war nichts zu sehen.
Mit bebenden Händen lud Patrick das Gewehr. »Wenn ich jemanden getötet habe, komme ich ins Gefängnis.«
»Aber nicht, wenn dieser Jemand Bill ermordet hat, verlaß dich drauf.« Sie berührte beruhigend seine Schulter. »Ich weiß nicht, ob da jemand war. Es könnte auch nur ein Schatten gewesen sein.«
»Sollen wir nachsehen?«
Sie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Schauen wir lieber, daß wir auf die Straße kommen und die Polizei holen. Die können dann nachsehen.«
Langsam, jetzt noch nervöser, kämpften sie sich voran. Ein paar Minuten später blieb Patrick so plötzlich stehen, daß Kate mit ihm zusammenstieß. »Da, sehen Sie.« Er zeigte nach vorn.
Sie folgte seinem Finger und hielt den Atem an. Da war er wieder. Auf dem Wildwechsel vor ihnen. Neben ihr hob Patrick das Gewehr. Sie sah, wie der Lauf schwankte, als er den Hahn spannte, und starrte auf die Gestalt. Es war nicht mehr als ein Schatten. Sie konnte keine Gesichtszüge sehen œ überhaupt kein Gesicht, nur eine Silhouette. Aber es war ein Mann.
Er war verschwunden, bevor Patrick abdrücken konnte. »Wo ist er?« Patrick stand völlig reglos, das Gewehr an der Schulter.
»Verschwunden.« Kate spürte, wie sie zitterte. »Er verschwand, während ich ihn beobachtete. Paddy, halt das Gewehr schußbereit, und laß uns langsam weitergehen.«
Sie machte einen Schritt nach vorn, so nahe an Patrick, daß er spüren konnte, wie ihre Jacke seinen Arm streifte.
»Man sollte nicht mit einem geladenen Gewehr
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