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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Schlamm, zusammengerollt, vom Schmerz übermannt.
»Gut gemacht!« Susie triumphierte. »Jetzt setz dich hin. Lehn dich hier an die Böschung.«
Das Mädchen warf wieder einen Blick auf die Bäume. Da war doch etwas. Es bewegte sich in der Dunkelheit der Schatten. Sie stand auf, ließ ihre Mutter zurück auf den Boden sinken und strengte ihre Augen an, um zu sehen, was es war.
»Wer ist da?« Ihre Stimme bebte. »Greg? Paddy?« Sie hoffte inständig, daß es einer von ihnen war. Sie konnten nicht weit vom Farmhaus entfernt sein. Sie blickte sich um, verwirrt. Wie weit waren sie gekommen, bevor sie umgekippt waren? Sie wußte es nicht.
Da war es wieder. In den Bäumen bewegte sich etwas. Ihr Mund war trocken wie Sandpapier; sie konnte nicht richtig atmen. Ihre Knie begannen zu zittern. »Mummy.« Es war ein Reflex, dieses verzweifelte Flüstern nach Hilfe. Sie wußte, daß ihre Mutter sie nicht hören konnte. »Mummy, kannst du ihn sehen?«
Die Gestalt war groß; das Gesicht finster, mit einer Adlernase, grausam. Seltsam, sie hatte immer gedacht, Geister seien durchsichtig, nicht körperhaft, und man könne durch sie hindurchgehen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, sank sie neben ihrer Mutter auf den Boden und nahm ihre Hand. »Mummy. Hilf mir. Er kommt.«
Cissy hörte sie. Sie versuchte, ihre Finger zu bewegen, aber es schien nicht zu gehen; ihre beruhigenden Worte verloren sich im Blut, das ihr in die Kehle sickerte.

LII
    Joe kratzte sich am Kopf und sah wieder auf seine Armbanduhr. Seltsam, daß sie noch nicht zurück waren.
    Er konnte den Rinderbraten riechen. Das ganze Haus war voller appetitlicher Gerüche, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Vielleicht hatte sie nicht gemerkt, wie spät es war. Cissy steigerte sich immer so rein, wenn sie runter nach Redall fuhr. Irgendwas war an dem Haus, das einen die Zeit vergessen ließ œ er hatte es auch schon gespürt. Aber wenn sie mit ihnen essen sollten, dann hätten sie doch eigentlich längst da sein müssen? Er schaute noch einmal auf die Uhr; es war nach drei. Der Braten würde noch anbrennen. Er warf einen Blick auf den Ofen und schüttelte den Kopf. Er sollte wohl besser runterfahren und nachsehen, was los war. Er griff sich einen Topflappen, zog die Klappe auf und holte den Braten heraus. Das Fleisch war trocken und um den Knochen zusammengeschrumpft, die Kartoffeln fast schwarz. Er schüttelte traurig den Kopf und stellte die Bleche mit dem Essen auf die Abstellplatte. Alles schon verdorben.
    Draußen warf er einen Blick auf den Himmel. Es gab kaum noch Tageslicht, die Wolken waren schwarz und bedrohlich, der Wind er schnupperte wissend œ blies aus Norden. Das würde richtigen Schnee bringen; von der Art, wie sie ihn an dieser Küste seit vier Jahren nicht mehr gehabt hatten.
    Nachdenklich zog er sich hinauf auf den Sitz des alten Land Rover, der neben der Scheune stand, und beugte sich nach vorn, um den Schlüssel umzudrehen.
    Zuerst erkannte er nicht, was er sah; seine Augen weigerten sich einfach, sich ein Bild aus den Achsen, den Rädern, dem Auspuff zu machen, denn das war alles, was er von seinem Range Rover sehen konnte, der seitlich im Graben lag. Alles, was er durch den peitschenden Schneeregen im Licht der Scheinwerfer sehen konnte, war ein undefinierbares Etwas aus glänzendem Schlamm und Stahl. Dann aber war ihm plötzlich klar, was er da sah. Er bremste abrupt und geriet fast ins Schleudern; er richtete die Scheinwerfer auf das Wrack, hievte sich aus dem Fahrersitz und sprang hinunter in den Schlamm. »Cissy?« Lieber Gott, wo waren sie bloß? »Cissy, Liebes?« Er sprang hinunter in den Graben und kletterte rutschend um das Fahrzeug herum.
    Der schwarze Umriß des Wracks lenkte den Strahl seiner Scheinwerfer ab, und es dauerte einen Moment, bevor sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, um Cissy sehen zu können, die im Lichtschatten an die Kühlerhaube gelehnt dasaß, die Augen geschlossen. Susie hatte sich nahe bei ihr niedergekauert, die Arme um die Knie, und schaukelte mit dem Oberkörper langsam hin und her.
    »Susie?« rief Joe.
    Das Mädchen hielt ihre Knie noch fester. »Sie ist tot.« Sie hielt den Kopf gesenkt. »Sie ist tot.« Tränen liefen ihr über das Gesicht.
    Joe rutschte näher heran und kniete sich neben sie. Sein kantiges Gesicht war kreidebleich. »Nein. Nein, Baby, nein.« Er riß sich seine Handschuhe herunter, streckte die Hand aus, an Susie vorbei, und nahm zärtlich Cissys Handgelenk. Es war

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