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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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aufwecken.«
    »Gleich über den Flur, hinter dem Arbeitszimmer.« Kate zeigte auf die Tür. »Da, nimm die Kerze mit.«
    Im Flur war es nach der Wärme am Feuer ausgesprochen kalt. Anne schützte die Flamme mit der Hand und drückte sich an den Mänteln, Stiefeln und der geschlossenen Tür zum Arbeitszimmer vorbei. Im Nacken konnte sie den Zug von der Haustür spüren. Sie brauchten einen Vorhang dafür. Überall im Flur standen Sachen herum. Vorsichtig hielt sie die Kerze in die Höhe und versuchte, nicht zu stolpern. Sie beleuchtete die Körbe und Schuhe, die Spazierstöcke, eine Schachtel mit Katzenfutter, einen alten Elektro-Ofen œ dieses Haus zu beheizen, war offensichtlich ein Problem -, eine Schachtel mit etwas, das nach Steinen aussah, ein paar Rollen Weihnachtspapier und eine Schachtel mit Weihnachtsschmuck, der nur noch auf den Baum zu warten schien, und œ sie blieb stehen. Vor ihr hatte sich etwas bewegt, außerhalb des Kerzenlichts. Es mußte eine der Katzen sein. Sie hob die Hand ein wenig höher und versuchte, den schwachen Lichtkreis ein bißchen weiter nach vorn zu werfen. Da war es wieder. Im Schatten. Aber nicht auf dem Boden; es war so groß wie ein Mensch. »Wer ist da?« Widerwillig mußte sie zugeben, daß ihre Stimme zitterte.
    Keine Antwort. Kein Geräusch, bis auf das leise Seufzen des Windes vor der Haustür. Sie hörte keine Stimmen mehr aus dem Wohnzimmer.
    »Wer ist da?« wiederholte sie, diesmal lauter. Sie stand wie angewurzelt. »Ach, Scheiße, komm schon. Sei nicht albern. Wer ist da?«
    Sie konnte es jetzt riechen. Das Parfüm. Intensiv, exotisch, derb, mit einer starken Beimischung nasser Erde. Sie schluckte und bemerkte, daß ihre Hände bebten; das Kerzenlicht hatte angefangen zu zittern.
    »Okay, Lady Claudia. Zeig dich.«
    Sie zwang sich, noch einen kleinen Schritt vorzutreten. Jetzt zitterten auch ihr die Knie. Das Kerzenlicht fiel über den Flur, ließ noch eine Reihe mit Haken erkennen, noch etliche Regenmäntel und Jacken. Sonst nichts. Kein Gespenst. Keine römische Dame. Sie atmete tief durch. Ihre Hand war klamm und eiskalt, als sie sie nach dem Türgriff ausstreckte und die Tür aufzog. Die kleine Toilette war ordentlich, mit hellgrünen Vorhängen, einem dicken Fleckerlteppich, einem grünen Handtuch und Seife. Sie stellte die Kerze auf das Fensterbrett und wollte gerade den Reißverschluß ihrer Hose öffnen, da schaute sie nach unten, in das kleine Waschbecken. Im Becken lag etwas schwarze Erde, und darin schlängelten sich mehrere Maden, die im Kerzenlicht fette, schwerfällige Schatten warfen.

LVIII
    Die Dünen waren schneebedeckt. Das strömende Mondlicht warf lange, farblose Schatten über den Strand. Als die Wolken unaufhaltsam von Nordosten hereintrieben, senkte sich der Himmel, dessen Hintergrund erst opal- und dann matt zinnfarben leuchtete. Kein Nachtvogel stieß seinen Ruf aus; nur der Wind in den Bäumen hinter dem Cottage störte die Stille des Grabes, das jetzt mit einem Mantel aus Schnee bedeckt war.
    Der junge Mann, der davorstand, warf keinen Schatten; er hinterließ keine Fußspuren. Wie die Frau, die er liebte, wollte er Rache. Kein freundlicher Gott hatte seine Seele als Opfer in Empfang genommen, denn bei seinem letzten Atemzug hatte er geschworen zurückzukommen, und dieser Schwur hatte ihn von seiner Geliebten getrennt. Es war nicht nötig, entfernte Galaxien zu durchkämmen; Marcus Severus Secundus war durch Blut an diesen Ort gefesselt, das Blut seiner Opfer. Sein Haß hatte sie durch die Jahrhunderte voneinander ferngehalten. Der junge Mann lächelte. Sie waren alle drei durch die Einmischung des Mädchens befreit worden. Durch sie würde dieses geheime Beinhaus der Welt bekanntgemacht, und seine Rache würde süß werden.
    Ein Wolkenmantel verhüllte plötzlich den Mond. Dunkelheit fiel wieder über das Land, und mit ihr kam der Schnee. Dicht, weiß, wirbelnd löste er den Schatten auf, außer dem nichts mehr von Nion, dem Druiden, übrig war, bis auf sein Bedürfnis nach Rache und seine Liebe.
    Sie hatte ein Haar im Mund. Sie griff mit verzogenem Gesicht danach und öffnete die Augen. Neben ihr auf dem Kissen lag ein Kopf. Stirnrunzelnd starrte sie ihn an. Sue. Es war Sue. Das Haar über das Kissen verstreut, schlief sie tief neben ihr auf dem Boden. Alison bewegte leicht den Kopf. Hinter ihren Schläfen hatte sich ein heftiger Schmerz eingenistet, als würden dauernd Türen zugeknallt, aber im Kerzenlicht konnte sie verschwommen etwas

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