Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Zimmer herum und versuchte, das Geräusch auszumachen, das ihn geweckt hatte. Es war das Telefon, das schnelle, herrische Läuten eines englischen Telefons, das so anders war als der bedrückend monotone Klang amerikanischer Apparate. Mit einem Stöhnen quälte er sich aus dem Bett und zog seinen Morgenrock an. Verdammt, wie spät war es bloß? Er wankte durch das Schlafzimmer und tastete nach dem Lichtschalter, als er ins Wohnzimmer kam.
»Jon? Meine Güte, es tut mir ja so leid, Sie um diese Zeit wecken zu müssen.«
Also war es wirklich mitten in der Nacht. Zuerst erkannte er die Stimme nicht, dann dämmerte es ihm. Kates Mutter. »Hallo, Anthea. Wie geht es Ihnen?« Er versuchte, sich die Müdigkeit und den Jetlag nicht anmerken zu lassen.
»Mir geht es gut, mein Lieber. Bitte verzeihen Sie, daß ich so früh anrufe, aber ich mache mir solche Sorgen.«
»Wegen Kate?« Hatte sie ihren Eltern denn nicht gesagt, daß sie sich getrennt hatten?
»Wegen allen beiden. Anne wollte runterfliegen und Kate in diesem Cottage besuchen, das sie gemietet hat. Ich kann keine von beiden erreichen, und wie es scheint, ist das Wetter dort drüben an der Ostküste entsetzlich.«
Jon beugte sich vor und hob mit dem Finger ganz vorsichtig den Vorhang. Draußen war die Straßenbeleuchtung an, und er sah ein dichtes Schneetreiben; der Schnee blieb liegen. Er runzelte die Stirn. Wenn es in London schon so schlimm war, wie um alles in der Welt würde es dann auf dem Land aussehen?
»Es tut mir leid, Anthea. Ich bin erst gestern aus den Staaten zurückgekommen. Ich konnte sie bis jetzt auch nicht erreichen. Das Telefon da oben funktioniert nicht.« Er klemmte den Hörer unter sein Ohr, streckte die Hand nach der Whiskyflasche aus und schraubte flink den Verschluß ab. »Ich bin sicher, es geht ihnen gut.«
»Glauben Sie wirklich?« Die Stimme der Frau verriet ein leichtes Beben. »Ich habe so ein ungutes Gefühl. Ich kann es nicht erklären, aber ich bin sicher, daß etwas passiert ist.«
Er goß einen Doppelten in das Glas, das noch von letzter Nacht auf dem Tablett stand. Dann stellte er es ab, ohne den Whisky anzurühren. »Anthea. Hat Kate Ihnen irgend etwas darüber erzählt, was dort vor sich geht? Irgend etwas, das Ihnen besonders Sorge macht?« Hatte sie den Einbruch erwähnt? Wie er Kate kannte, wahrscheinlich nicht, nicht, wenn es ihre Mutter beunruhigen konnte.
»Sie hat mich ein paarmal angerufen. Sie sagte, sie sei sehr glücklich, aber ich habe gemerkt, daß sie etwas zurückhielt.«
Jon lächelte grimmig. Soviel zu dem Versuch, seinen Eltern etwas zu verheimlichen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, mit welchem untrüglichen Instinkt seine Mutter seine Missetaten zutage gefördert hatte, als er ein Junge war.
»Jon, mein Lieber. Ich weiß, daß Sie und Kate nicht sehr gut miteinander ausgekommen sind. Sie hat mir gesagt, daß sie wahrscheinlich nicht wieder in Ihre Wohnung ziehen wird. Ist das noch immer so?«
»Ich weiß es nicht, Anthea.« Jetzt hob er das Glas an die Lippen. »Ich hatte gehofft, sie umstimmen zu können.«
»Sie wissen, daß es dort unten einen Mann gibt.«
»Einen Mann?« Der Klang ihrer Stimme sprach Bände. Er stellte fest, daß der Schock in seinem ganzen Körper nachhallte.
»Einen Künstler. Anne glaubt, daß sie sich in ihn verliebt hat. Jon, ich habe gestern noch mit Anne gesprochen, bevor sie runtergeflogen ist. Sie machte sich große Sorgen um Kate. Sie sagte, alle möglichen furchtbaren Dinge seien geschehen. Sie sagte, Kate habe bestürzt und verängstigt geklungen. Sie sagte, jemand sei in ihr Cottage eingedrungen und habe es verwüstet. Offenbar sprach sie von Gespenstern und bösen Geistern und dergleichen -«
»Langsam, langsam.« Jon schluckte. Anne teilte offensichtlich nicht die Skrupel ihrer Schwester, ihrer Mutter Angst einzujagen. »Sie hat bestimmt übertrieben. Kate hat mir von dem Einbruch erzählt. So schlimm war es nicht. Kinder, denkt die Polizei.«
»Böse Geister. Anne sagte böse Geister. Jon, bitte. Sie müssen hinfahren und herausfinden, ob ihnen etwas passiert ist. Bitte.«
Jon warf einen Blick aus dem Fenster. »Das Wetter ist furchtbar, Anthea. Ich glaube nicht, daß ich durchkommen würde. Sie haben durchgesagt, daß man lieber nicht mit dem Auto fahren soll -«
»Jon, bitte. Ich weiß, daß Sie sich auch Sorgen machen.«
Er dachte kurz nach. »Wie Sie schon sagten, Kate und ich sind nicht mehr zusammen.«
»Ich verstehe«, sagte sie
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