Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Oberschenkel, der, jetzt zerbrochen und zersplittert, im Sand zerfiel.
Als sie sicher wieder im Cottage angekommen war, schloß sie mit einem Seufzer der Erleichterung die Tür ab, nahm den Film aus der Kamera, packte ihn in den dafür vorgesehenen Plastikbehälter und steckte ihn in ihre Umhängetasche. Ihre Kleidung war feucht geworden, sie fröstelte. Nachdem sie eine Kassette mit Vaughan Williams‘ Fünfter Symphonie in den Kassettenrecorder gesteckt und laut aufgedreht hatte, ging sie die Treppe hinauf und zurück in ihr Schlafzimmer, wo sie ihren Schal abnahm, ihr nasses Haar ausschüttelte und sich langsam auszog.
Sie hatte gerade ihren Bademantel übergestreift, als sie innehielt und horchte, denn unten war die Musik leise geworden. Aus dem Abstellraum konnte sie ein leichtes Summen hören. Sie stutzte. Was war mit diesem verfluchten Haus, was machte sie so schreckhaft? Vielleicht war es eine Fliege, aufgeweckt durch ihre Bewegungen. Sie atmete tief durch, bevor sie die Tür aufriß und das Licht anmachte. Das Zimmer war leer. Ein rascher Blick zeigte ihr, daß ihre Koffer und Kisten unberührt waren. Auch Gregs Bilder standen noch da, wo sie sie stehengelassen hatte, hinter der Tür, mit der Vorderseite zur Wand. Ja, sie hatte recht gehabt, ein paar Fliegen krochen über das Fenster. Als das Licht anging, summten sie wütend gegen die Scheibe. Kopfschüttelnd ging sie rückwärts hinaus und schloß die Tür. Morgen würde sie sich um sie kümmern.
Im Badezimmer war es sehr kalt. Sie hatte eine Gänsehaut und zog an der Schnur, um den Heizkörper anzumachen. Dann steckte sie den Stöpsel in die Badewanne und drehte den Hahn mit dem heißen Wasser auf. Als die Fenster beschlugen, schloß sie die Vorhänge, dann kippte sie etwas Schaum-Badeöl in den dampfenden Wasserstrahl und trat zurück, um ihr Haar zu einem Knoten zu drehen, während sie zusah, wie die Badewanne sich mit duftendem Schaum füllte. Es war wie eine Ekstase, sich in der Wärme zurückzulegen. Mit einem genußvollen Stöhnen tauchte sie hinein und schloß die Augen.
Sie hatte die Fliege in der Ecke des Fensterrahmens nicht bemerkt. Als das Licht und die Wärme sie aufweckten, kroch sie unter dem Vorhang hervor und summte wütend auf die Neonröhre über dem Waschbecken zu. Kate öffnete die Augen und beobachtete sie verärgert. Das disharmonische Summen verdarb ihr die Laune. Nachdem die Fliege mehrmals gegen den Spiegel gesaust war, trat sie zu einer schnellen Rundreise durch das Badezimmer an. Kate duckte sich unwillkürlich, als sie über ihrem Kopf zum Sturzflug ansetzte. »Verflixt und zugenäht!« Sie schnipste mit Schaum nach ihr. Sie würde nicht zulassen, daß sie ihr das Bad verdarb.
Als das Wasser abzukühlen begann, drehte sie voller Hoffnung den Hahn auf, obwohl sie schon vorher wußte, daß der Tank noch nicht wieder aufgeheizt war. Wie erwartet, war das nachströmende Wasser kalt. Sie hievte sich aus der Wanne, stellte die Füße auf die Badematte und wickelte sich in ein Handtuch. Nachdem sie den Dampf vom Spiegel abgewischt hatte, setzte sich die Fliege auf den Rahmen des Spiegels. Sie schnipste danach, aber die Fliege machte sich davon, hinauf zum Licht. In diesem Moment läutete das Telefon. In das Handtuch gewickelt, ging sie in die Küche und nahm den Hörer ab.
»Kate, ich habe mir Sorgen gemacht. Ist alles in Ordnung?« »Jon?« Ihr Herz tat einen Sprung, als sie sich fröstelnd setzte. »Mein Gott, wäre ich froh, wenn du da wärst.«
Sie hätte sich die Zunge abbeißen mögen. Warum hatte sie das gesagt?
»Das habe ich mir gedacht. Irgendwas ist los, oder? Ich konnte es gestern an deiner Stimme hören.«
»Nichts ist los«, sagte sie hastig. »Ich habe nur gemeint, daß es dir hier gefallen würde. Der weite Himmel, das Meer, die Stille. Das alles würde dir gut gefallen.«
»Vielleicht komme ich dich besuchen, wenn ich wieder da bin.« In der Verbindung war jetzt ein Echo œ eine Pause nach jedem Satz; sie klangen beide verlegen, und sie sprachen nicht mehr lange miteinander. Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, saß sie da und schaute mehrere Sekunden lang nachdenklich das Telefon an. Es war aus zwischen ihnen, warum rief er also dauernd an?
Um dreiviertel acht machte sie den Computer und die Schreibtischlampe aus und stand auf, um sich zu strecken. Während der Arbeit war ihr aufgefallen, daß der Wind draußen vor dem Cottage stärker wurde. Er rüttelte an den Fenstern, und von Zeit zu Zeit hörte
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