Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
sie, wie der Regen gegen die Scheiben klatschte.
Sie machte sorgfältig ein Feuer und schloß die Türen so dicht sie konnte. Die Luftklappen machte sie ganz zu, damit das Feuer noch brannte und der Ofen behaglich warm war, wenn sie zurückkam. Sie begann widerwillig, Jacke und Stiefel anzuziehen, und warf noch einmal einen Blick zurück ins Wohnzimmer, wo sie die Lampe auf dem Beistelltisch nicht ausschaltete, damit sie sie später willkommen hieß. Dann trat sie hinaus in die Nacht, zog die Haustür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloß um. Sie hatte gehofft, daß das Telefon läuten und Roger vorschlagen würde, sie abzuholen. Mit dem Land Rover hätte der Weg nur zehn Minuten gedauert. Sie seufzte, hielt die Taschenlampe fest umklammert, machte sie an und richtete den Strahl auf den schlammigen Weg, der in den Wald führte.
Sie brauchte dreißig Minuten für die halbe Meile durch den Wald. Der Weg war matschig und rutschig, und der Wind hatte federnde, harzige Kiefernzweige über den Boden gestreut, was den Pfad im unruhigen Licht der Taschenlampe tückisch machte. Sie blieb mehrmals stehen und leuchtete mit der Lampe in die Bäume. Der enge Strahl zeigte nur nasse, schwarze Stämme, tiefe Schatten und ein Wirrwarr aus verfilztem Gestrüpp.
Als Diana die Tür öffnete, blickte sie Kate voller Überraschung an. »Kate, meine Liebe, Sie sind doch nicht etwa zu Fuß gegangen! Greg hat vor einer halben Stunde gesagt, daß er rüberfährt, um Sie abzuholen.«
Greg, dachte sie. Natürlich! Sie lächelte. Dabei bemerkte sie, daß ihr Gesicht regelrecht steif gefroren war von der Kälte. »Schade, daß ich das nicht gewußt habe, sonst hätte ich auf ihn gewartet«, sagte sie. Sie folgte Diana nach drinnen, legte ihren nassen Anorak ab und wurde dann in die Kaminecke geleitet, von der sie vorhin geträumt hatte. Innerhalb von Minuten hatte man es ihr in der wärmsten Ecke des Sofas gemütlich gemacht, wo sie nun mit einem Whisky in der Hand und einem Kater auf dem Knie saß.
Das Zimmer roch herrlich nach brennenden Apfelholzscheiten und nach Essen. Sie schnupperte voller Vorfreude; Knoblauch, Oregano, Tomaten œ also etwas Italienisches. Den Kopf gegen die Kissen gelehnt, lächelte sie Roger an, der sich zu ihr gesetzt hatte. »Das ist wie im Paradies. Für mich allein lohnt sich die Kocherei nicht. Die letzten paar Tage habe ich mich von Bohnen und Dosensuppen ernährt.«
»Und wie läuft‘s mit Ihrem Buch?« Roger lächelte. Diana stand am Ofen, wo sie den Deckel von einem Topf genommen hatte, dessen Inhalt sie jetzt behutsam umrührte.
Kate nippte an ihrem Whisky und spürte, wie die Wärme durch ihre Adern floß. »Ganz gut. Was die Arbeit angeht, war es sehr gut, daß ich hierher gekommen bin. Ich habe jetzt die Zeit, mich zu konzentrieren.«
»Sonst gibt‘s da drüben nicht viel zu tun, was?« Roger lächelte. Als die Tür aufging und Greg hereinkam, sah er ihn erzürnt an. »Ich dachte, du wolltest unseren Gast abholen«, sagte er streng.
Greg verzog das Gesicht. »Tut mir leid. Ich wußte nicht, daß es schon so spät ist. Gerade wollte ich raus und Sie abholen fahren.« Kate beäugte ihn kryptisch. Sie glaubte ihm nicht. Er hatte absichtlich so lange gewartet, damit sie zu Fuß gehen mußte. Sie sagte allerdings nichts. Sie wollte die Stimmung des Abends nicht verderben. »Macht nichts«, sagte sie leichthin. »Nichts passiert. Der Spaziergang hat mir gut getan.«
»Na, jedenfalls können Sie sich darauf verlassen, daß er Sie nach dem Abendessen zurückfahren wird«, versprach Roger. Als Kate die stählerne Härte in seiner Stimme hörte, wußte sie, daß Gregs Vater ebenso wußte wie sie, daß seine Nachlässigkeit Absicht gewesen war. Entspannt ließ sie sich tiefer in die Kissen sinken, ihre Hand streichelte Serendipity Smith zärtlich, und sie war überrascht, wie erleichtert sie sich fühlte, daß sie sich diese Nacht den kalten, nassen Bäumen nicht mehr allein aussetzen mußte.
Greg, der im Sessel in der Ecke mürrisch Bier getrunken hatte, sah erst wieder auf, als Alison und Patrick erschienen. »Haben Sie daran gedacht, den Dolch mitzubringen, den Sie bei Alisons Ausgrabungsstelle gefunden haben?« fragte er. Seine Stimme war ruhig, aber in seinem Ton lag etwas Feindseliges, das Kate sofort bemerkte.
Sie legte die Stirn in Falten. »Natürlich.« Vorsichtig, um den Kater nicht aufzuschrecken, bückte sie sich nach ihrer ledernen Umhängetasche, die bei ihren Füßen lag, und
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