Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
sie sie näher kennenlernen wollen.«
Einen Moment lang herrschte Stille.
»Der Dolch hat ihm gehört«, warf Alison leise ein. »Er hat damit Leute umgebracht.«
Kate blickte sie an. Gegen ihren Willen lief ihr ein Schauder der Besorgnis über den Rücken. Alison starrte auf ihren Teller. Ihre Kopfschmerzen waren wieder da.
»Dann bin ich ja froh, ihn los zu sein«, sagte Kate. Sie zwang sich, heiter zu klingen. »Wenn du gut auf ihn aufpaßt, ist er hier, außer seiner Reichweite, bestimmt besser aufgehoben. Heute abend habe ich mit einem Freund in den Staaten telefoniert und ihm davon erzählt«, fuhr sie fort, entschlossen zu zeigen, daß sie in keinster Weise aus der Fassung zu bringen war. »In Amerika gibt es keine römischen Gespenster. Er war ganz schön eifersüchtig.« Steckten sie beide unter einer Decke, Greg und Alison? Amüsierten sich hier alle auf ihre Kosten? »Greg, was meinen Sie denn eigentlich damit, wenn Sie sagen, er sei alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse?« fragte sie nach. Sie sah Greg aufmerksam an. Wenn er es ihr sagte, dann wußte sie wenigstens, was sie zu erwarten hatte.
Er zuckte mit den Schultern. »Es heißt, daß man in gewissen Vollmondnächten, wenn die Flut steigt, die Schreie seiner Opfer hören kann -«
»Greg, jetzt ist es aber genug«, rief sein Vater. »Du machst deiner Schwester Angst.«
»Blödsinn. Allie ist hart im Nehmen. Es braucht schon einiges mehr, um ihr Angst zu machen«, gab Greg zurück. Er wandte sich zu Kate. »Und ich bin sicher, daß unsere Frau Historikerin keine Angst vor Geistern hat. Bei ihr gehören sie schließlich zum Handwerkszeug. Eigentlich müßte sie sich freuen, ein paar davon so billig anmieten zu können.«
Da war er also, der Stachel, der ihn verriet. Kate lächelte. Plötzlich fühlte sie sich wieder heiterer. Mit Greg Lindsey würde sie schon fertig werden. Nachdem sie noch etwas von Dianas köstlicher hausgemachter Pate gegessen hatte, wandte sie sich ihm wieder zu. »Warum sollten sie aber im Grab am Strand herumspuken? Sie sind dort nicht begraben worden, und ich bin auch ziemlich sicher, daß es keine römische Grabstätte ist.«
»Woher wollen Sie wissen, daß es eine Grabstätte ist?« Patrick machte wieder eine seiner seltenen Bemerkungen. »Allie hat doch keine Leiche gefunden, oder?«
»Nein, habe ich nicht!« Wieder die Panik. Ohne Erklärung. Plötzlich. Überwältigend. Alison ballte die Fäuste gegen dieses Hämmern hinter ihren Augen.
»Und sie wird wahrscheinlich auch keine finden. Der Sand löst Leichen auf«, warf Kate ein. Sie hatte Alison nicht angesehen. »Wie in Sutton Hoo. Es ist zwar eine sächsische Begräbnisstätte, und deshalb viel später, aber es muß doch dasselbe Prinzip sein. Die Salze im Sand lösen alles auf œ bis auf den Abdruck. Und den können Archäologen nur dann finden, wenn das Grab noch unberührt ist.« Sie sah Alisons verzerrten Gesichtsausdruck und beeilte sich hinzuzufügen: »Die Flut und der Wind haben das Grab aber schon so beschädigt, daß es keine Hoffnung mehr gibt, solche Zeugnisse zu finden.«
Der Torf. Die Torfschicht in der Düne. Die Worte kamen ihr in den Sinn, als sie die Pute auf ihrem Teller anstarrte. Der Torf war gerade erst freigelegt, nur die Ränder bröckelten ab, und es roch nach süßlicher Gartenerde…
Sie ließ die Gabel fallen. Die anderen sahen sie an. »Entschuldigung.« Sie lächelte, als sie danach tastete. »Es ist dieses ganze Gerede über Geister. Ich glaube, jetzt werde ich doch noch nervös.«
»Und das ist unverzeihlich«, warf Diana streng ein. »Nun aber genug mit diesem Unsinn. Ich kenne dieses Cottage schon fast mein ganzes Leben lang. Es spukt dort nicht. Es hat dort noch nie gespukt, und damit Schluß.«
Kate warf einen verstohlenen Blick auf Greg. Er hatte den Blick auf seinen Teller gerichtet.
Als das Essen beendet war und die anderen zurück zum Feuer gingen, legte Diana eine Hand auf Kates Arm. »Bitte helfen Sie mir mit dem Kaffee. Ich hatte noch keine Gelegenheit, richtig mit Ihnen zu reden.« Sie lächelte, als sie den Kessel vom Kaminsims nahm und ihn zur Spüle trug. Keine der beiden Frauen sprach, während das Wasser in den Kessel lief, dann winkte Diana Kate mit einem Blick über die Schulter näher zum Ofen. Es gab ein Zischen aus Dampf, als sie den tropfenden Kessel auf die heiße Platte stellte. »Ich vermute, Sie haben gemerkt, daß Greg versucht, Sie aus Redall Cottage zu verscheuchen«, sagte sie leise. »Es
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