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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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verunreinigen, sah sie sich sorgfältig nach Zeichen ihres Eindringens um, doch es gab keine. Das Zimmer war so, wie sie es verlassen hatte. Der einzige Geruch kam von den süßlich duftenden Stielen des Seidelbasts im Glas auf dem Tisch beim Fenster. Sie ging zum Fenster hinüber, zog die Vorhänge zurück und öffnete es, um sich hinauszulehnen. Die Nacht war kristallklar. Das Licht der Sterne war so hell, daß sie jede Einzelheit des Gartens, der Hecke und über die Düne hinweg das Meer, das leuchtend und still dalag, sehen konnte. Am Strand brachen sich die schwerfälligen Wellen in einem langsamen, sich ständig wiederholenden Takt, der dem gleichmäßigen Atmen eines schlafenden Tieres glich. Sie blieb lange so stehen, die Ellbogen auf dem eiskalten Fensterbrett, dann schloß sie endlich fröstelnd das Fenster und drehte sich zum Bett.
    Das Knarren der Tür auf dem Gang ließ sie fast aus der Haut fahren. Sie wirbelte herum und wollte sich der Gefahr stellen, das Herz pochte ihr wie wild unter den Rippen. Es war jemand hier; jemand versteckte sich im Abstellzimmer. Sie atmete tief durch und sah sich nach einer Waffe um, mit der sie sich verteidigen konnte. Sie konnte nichts entdecken, außer einem Kleiderbügel aus Draht, der auf dem Stuhl lag. Sie nahm ihn und hielt ihn fest umklammert vor sich hin, als sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich. Sie hatte sie nicht ganz geschlossen, und es war leicht, dahinter Position zu beziehen und von dort in den dunklen Gang zu spähen. Sie hielt die Luft an. In dem schmalen Lichtstrahl, der aus ihrem Schlafzimmer über die Binsenmatte auf die gegenüberliegende Wand fiel, konnte sie sehen, daß die Tür des anderen Zimmers noch offen stand. Der Raum dahinter lag im Dunkeln. Einen Moment lang war sie in Versuchung, ihre eigene Tür zuzuschlagen, ins Bett zu springen, den Kopf unter das Kissen zu stecken und zu beten, daß der Eindringling weggehen möge, wer immer es auch sei. Aber das war unmöglich.
    »Greg?« Ihre Stimme kam wie ein Quieksen aus ihrem Mund. Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal. »Greg? Komm schon. Ich weiß, daß da jemand ist.« Sie riß ihre Tür bis an die Wand zurück, trat mutig auf den Flur und stieß die gegenüberliegende Tür auf. »Verdammt nochmal, hör endlich mit dem Blödsinn auf. Es ist ein Uhr früh. Los jetzt. Der Spaß ist vorbei!« Sie machte Licht. Einen Augenblick lang war sie von dem, was sie nun sah, so entsetzt, daß sie erstarrte.
    Ihre Kartons und Koffer lagen überall verstreut; Gregs Bilder waren umgeworfen, die Rahmen zerbrochen, die Leinwand zerfetzt, und überall im Zimmer lag eine dünne Schicht schwarzer Erde. Ihr Geruch war überwältigend, süß, stark, geradezu widerwärtig süß. Sie hielt die Tür umklammert, lehnte sich an sie, um nicht zu fallen, und bemerkte, daß sie angefangen hatte zu zittern; ihre Knie waren kurz davor, nachzugeben. Sie konnte spüren, wie ihr im Hals die Galle hochkam. Wer immer das gemacht hatte, wer immer hier gewesen war, er hatte alles im Zimmer zerstört. Ihre Augen wanderten zum verschlossenen Koffer. Er war an den Scharnieren auseinandergerissen worden. Das Staubtuch, in das sie den Halsreif eingewickelt hatte, war in Fetzen gerissen, und die Stücke waren über den Boden verstreut. So weit sie sehen konnte, war der Halsreif verschwunden.
    »O mein Gott!« Ihre Lippen waren trocken, die Handflächen feucht. Sie drehte sich um und spähte die dunkle Treppe hinunter.
    »Wo zum Teufel steckst du?« schrie sie. Sie rannte die Treppe hinab und machte schnell das Licht in der Diele an. »Wo bist du?« Die Haustür war immer noch verschlossen und verriegelt œ der Schlüssel lag in der Schale auf dem Dielentisch. Sie lief ins Wohnzimmer. Es war ebenfalls so, wie sie es verlassen hatte, die Fenster geschlossen. Auch die Küche war leer, bis auf eine Wolke aus Fliegen, die sofort zur Decke hinaufflogen, um dort ihr endloses Kreisen fortzusetzen.
    Sie griff zum Telefonhörer. Es klingelte lange, bis sich Diana meldete, die Stimme schlaftrunken.
    »Diana, entschuldigen Sie bitte, daß ich so spät noch anrufe.« Kate war sich nicht bewußt, wie sehr ihre Stimme zitterte. »Kann ich mit Greg sprechen? Sie haben mich gewarnt. Sie haben mich gewarnt, und ich dachte, ich würde mit ihm fertig, aber das ist einfach zu viel. Er soll sofort kommen und hier alles wieder in Ordnung bringen!«
    »Kate, was ist passiert?« Diana setzte sich in ihrem Bett im Farmhaus auf und griff in Richtung

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