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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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»Ich will bei Ihnen bleiben.«
    »Okay.« Kate holte zwei Becher herunter. Ihre Hand schwebte kurz über der Kaffeebüchse, dann griff sie nach einer ungeöffneten Dose mit Schokoladenpulver. Diana mußte sie hingestellt haben, als sie für sie einen Vorrat an Lebensmitteln angelegt hatte. Schokolade war nahrhaft, entspannend und wohltuend. Sie würde ihnen guttun. Sie hob den Deckel mit einem Löffel hoch und riß das Papiersiegel auf. Die Dose war voller Erde. Eine fette weiße Made schlängelte sich erbost im plötzlich einfallenden Licht. Mit einem Schrei schleuderte Kate die Dose durch das Zimmer. Sie schlug mit einem Knall gegen die Wand.
    Alison richtete sich mit einem Ruck auf. »Was ist los?« Sie starrte auf die rote Dose, die in die Ecke gerollt ”war und eine Spur aus Schokoladenpulver auf dem Boden hinterlassen hatte.
    Kate rieb sich die Augen. Sie zitterte wie Espenlaub. »Entschuldige. Sie ist mir aus der Hand gerutscht. Wie dumm…«
    Sie zwang sich, die Dose aufzuheben. Sie schnupperte vorsichtig am übriggebliebenen Inhalt. Es roch gut; nahrhaft, süß und unverdorben. »Glücklicherweise ist noch genug für uns beide da.« Sie hatte Wahnvorstellungen und schimpfte sich eine dumme Gans. Alison zuliebe mußte sie ruhig und stark sein. Sie atmete tief durch. »Allie, wer ist Claudia?«
    »Claudia?« Alison wandte sich ihr zu. Das Gesicht des Mädchens hatte jetzt wieder etwas mehr Farbe, und sie wirkte aufmerksamer, aber irgendwo hinter ihren Augen war eine eigenartige Leere, die Kate Sorgen machte. »Ich kenne niemanden, der Claudia heißt. Warum?«
    »Ich dachte, du hast gesagt -« Sie hielt mit einem Seufzer inne. »Nein. Vielleicht habe ich dich falsch verstanden. Egal. Da, die Schokolade ist fertig. Komm, wir gehen in das andere Zimmer und setzen uns an den Ofen.«
    Der Schneeregen peitschte gegen die Scheiben, und sie konnte sehen, daß die Pfütze auf dem Fensterbrett größer geworden war. Sie tropfte jetzt auf den Boden. Kate stellte die Schokolade ab und ging in die Küche zurück, um ein Tuch zu holen. Alison saß nach wie vor auf ihrem Hocker. »Komm mit. Ich lege ein paar neue Scheite auf. Soll ich dir helfen?«
    Alison schüttelte den Kopf. »Ist es… ist da drin alles in Ordnung?«
    »Natürlich ist alles in Ordnung. Das Fenster ist ein bißchen undicht, das ist alles.« Sie langte nach dem Tuch. »Ich wische schnell auf, und dann lege ich Holz nach.«
    Sie näherte sich vorsichtig dem Fenster und schielte auf das Brett. Im Wasser schwammen noch Erdstückchen, aber die Maden waren verschwunden. Mit einem Seufzer der Erleichterung wischte sie das Wasser auf und stopfte einen sauberen Putzlappen in den Winkel zwischen Fensterrahmen und Fensterbrett, damit er den geschmolzenen Schneeregen auffing, wenn er durchsickerte. Dann ging sie zum Ofen. In der Kiste waren nur noch drei Scheite. Sie öffnete die Türen und keilte einen davon in den Ofen, öffnete dann die Luftklappen, um das Feuer besser anzufachen. Zuletzt schüttelte sie die Kissen auf dem Sofa auf. Hinter ihr war Alison bis zur Tür geschlurft. Sie spähte in das Zimmer.
    »Ist sie weg?« fragte sie.
    »Wer?« Kate wirbelte herum.
    »-« Alisons schweres Atmen brach ab, und sie ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht. Es war jemand hier… oder war sie am Strand…?«
    Kate ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. »Es ist niemand hier, Allie«, sagte sie leise. »Und du brauchst vor nichts Angst zu haben. Am Strand ist dir sehr kalt geworden, und ich glaube, du warst ein bißchen unterkühlt. Leute bilden sich dann manchmal etwas ein. Komm, setz dich und leg deine Füße hoch, und dann trink jetzt was Heißes. Du fühlst dich bald besser, versprochen.« Sie wollte nicht in die Ecke schauen, wo sie die Gestalt der Frau gesehen hatte. Auch das war Einbildung. »Hör mal, wieso machen wir nicht ein bißchen Musik an.« Sie ging zu ihrem Kassettenstapel. Bei dem Gedanken, was Alison wohl von Vaughan Williams oder Sibelius oder Bach halten würde, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Hand schwebte über den Bändern. Faures Requiem. Wie war das da hingekommen? Es gehörte Jon. Sie starrte es eine Weile lang an, dann öffnete sie den Behälter und nahm die Kassette heraus. War es das Bedürfnis nach einem Gebet, das sie veranlaßt hatte, es mitzunehmen? Was auch immer es gewesen war, es konnte jedenfalls nicht schaden.
    Als sie die Kassette in den Recorder steckte, fiel ihr Blick auf die gestapelten

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