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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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hereinkommt, nichts weiter. Kein Wunder, bei dem Wind.« Sie zwang sich, ruhig zu klingen. »Ich muß schnell etwas holen, um das aufzuwischen. Ich stecke ein Handtuch ins Fensterbrett. Im Rahmen muß eine undichte Stelle sein. Und dann mache ich uns was Warmes zu trinken, was meinst du?«
    Sie wußte nicht, wie es ihr gelang, ihre Stimme ruhig zu halten. Verzweifelt versuchte sie, sich aus Alisons Klammergriff zu befreien. Sie war wie ein Kind, das sich angstvoll an den Rock der Mutter klammert. Sobald es Kate gelungen war, eine Hand abzuschütteln, griff die andere nach ihr. »Alison, es gibt nichts, wovor du Angst haben mußt«, wiederholte sie.
    Alison nickte wie wild. »Doch. Doch, verstehst du das denn nicht? Claudia ist frei. Claudia und…« Sie zögerte, den Kopf plötzlich auf die Seite gelegt, als versuche sie, etwas in weiter Entfernung zu hören, in einem anderen Zimmer. »Claudia und… und… Claudia und…« Ihre Stimme verhallte. Ein verdutzter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. »Was habe ich gerade gesagt?«
    »Nichts, Allie. Gar nichts.« Kate zwang sich, vollkommen ruhig zu bleiben. Das Kind hatte Wahnvorstellungen. War das ein Symptom der Unterkühlung? Sie wußte es nicht. Die Geistesabwesenheit, die Angst, war das alles ein Teil davon? O Gott, sie brauchte unbedingt einen Arzt. »Allie, ich werde deine Mutter anrufen. Du bist hier völlig sicher. Ich gehe nur in die Küche. Ich lasse beide Türen auf, dann kannst du mich die ganze Zeit sehen -«
    »Nein!« Alisons Stimme steigerte sich zu einem Schrei. Bei dem Ton lief es Kate kalt den Rücken hinunter.
    Alison kämpfte mit den Decken. »Ich komme mit. Ich mag… nicht. Das Fenster da. Sie kommt bestimmt durch das Fenster.« Sie schleuderte einen Arm unter der Decke hervor. Kate sah zu der Stelle, auf die sie deutete. In der Pfütze lag jetzt noch mehr Erde. Erde und Torf und œ sie konnte spüren, wie es ihr die Kehle zuschnürte, als sie am Rande ihres Gesichtsfeldes eine Bewegung sah.
    »Okay. Gehen wir in die Küche. Komm, ich helfe dir. Wir machen uns was Heißes zu trinken, und ich versuche zu telefonieren.« Bitte mach, daß es funktioniert. Bitte, lieber Gott, mach, daß das Telefon funktioniert.
    Den Arm um Alison legend, half sie dem Mädchen, hinüber in die Küche zu schlurfen. Dort setzte sie sie, immer noch in die Decke gewickelt, auf einen Hocker.
    Leise schloß sie die Tür und drehte den Schlüssel um. Dann œ ihre Hand zitterte vor Angst œ nahm sie den Telefonhörer ab. Doch die Leitung war immer noch tot.

XXVI
    Greg parkte sein Auto trotzig auf einem Parkplatz gleich neben dem Burgtor, der für Behinderte reserviert war, und ging mit weit ausholenden Schritten zum Eingang. Er warf einen Blick auf den Himmel. Schnee und Schneeregen hatten sie vorhergesagt. Für die Redall-Bucht hieß das wahrscheinlich Schneeregen, aber man konnte nie wissen. Manchmal blieb der Schnee auch liegen. Was immer passierte, in Colchester würde es schlimmer sein. Dort würde es viel Schnee geben.
    Es war lange her, daß er zuletzt im Museum gewesen war. Er starrte verwirrt um sich. Die große Halle von damals, mit ihren an der Wand aufgereihten Exponaten, war verschwunden. Statt dessen gab es jetzt fast intime, abgeschlossene Sektionen. Aus einer entfernten Ecke konnte er das blecherne, aufdringliche Geplärr hören, das von einem Videoband kam. Er runzelte die Stirn. Warum konnten diese Arschlöcher nicht alles so lassen, wie es war. Früher hätte er Marcus mit verbundenen Augen gefunden. Weiß der Teufel, wo er jetzt war.
    Er war oben, nicht weit von noch mehr Videoscheiße entfernt. Mit einem finsteren, ungeduldigen Blick auf die Nische, aus der die Geräusche eines Massakers drangen, stand Greg vor der Statue und starrte ihr lange und eindringlich ins Gesicht. Dann ging er, wie Kate vor ihm, zu den Ausstellungsstücken und sah hinunter auf das männliche Skelett. Sie hatte recht. Es war nicht Marcus, der in Redall begraben lag. Aber wer war es dann? Sein Blick wanderte hinüber zu den anderen Überresten. Kleiner, wenn auch nicht bedeutend kleiner: Marcus‘ Frau besaß einen starken Knochenbau. In der Kunstschule war sein Studium des menschlichen Skeletts eher oberflächlich gewesen, aber doch gründlich genug, um jetzt vermuten zu können, daß sie jung gestorben war. Wie? fragte er sich. Krankheit? Verwundung? Kindbett? Er warf einen Blick auf die Inschrift. Doch es gab keinen Hinweis, nichts, was über das wenige Wissen, das er bereits

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