Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Anrichte eine Streichholzschachtel voller Maden versteckt ist, und mich in ein gutes Buch vertiefen. Und wenn du dann immer noch Angst hast, möchte ich, daß du mich sofort anrufst. Jederzeit. Klar? Ich muß Schluß machen.«
Sie hatte aufgehängt, bevor ihr Kate auf Wiedersehen sagen konnte.
»Anne. Anne?« Sie schüttelte den Hörer. Anne war nicht mehr da, aber es klang so, als bestünde die Verbindung noch. Sie horchte noch einen Moment. »O nein. Nicht schon wieder.« Sie spürte, wie plötzlich Panik in ihr aufstieg, und rüttelte am Telefon, legte auf und nahm dann den Hörer wieder ab. Die Leitung selbst war nicht unterbrochen. Aber man hörte kein Freizeichen. Sie legte den Hörer wieder auf und nahm ihn erneut ab. Es geschah dasselbe.
In Edinburgh starrte Anne auf das Telefon vor sich auf dem Tisch und biß sich auf die Lippe. Es sah Kate gar nicht ähnlich, vor irgend etwas Angst zu haben; überhaupt nicht. Zum Teufel mit den Gästen. Kate war wichtiger als ein perfektes Souffle. Sie nahm den Hörer ab und wählte Kates Nummer.
Die Leitung war tot.
Kate sah sich in der Küche um. Alles kam ihr trostlos vor. Verflixt und zugenäht. Natürlich war es halb so schlimm. Morgen würde sie durch den Wald zum Farmhaus gehen und wieder einmal eine Telefonstörung melden. Wie Anne gesagt hatte: Sie sollte lieber etwas trinken, sehen, ob sie Maden fand, und sich dann wieder an die Arbeit machen.
Es war viertel vor zwölf, als sie endlich den Computer ausschaltete, sich streckte und aufstand. Ihre Augen waren müde, und ihr Gehirn fühlte sich an, als sei es gequirlt worden. Sie starrte auf den Stapel mit ausgedruckten Seiten auf dem Schreibtisch, nahm dann ihre Brille und setzte sie wieder auf, um den letzten Abschnitt noch einmal durchzulesen. Er war gut. Er war aufregend, lebendig, großartig. In Hochstimmung wanderte sie hinüber in die Küche und griff nach der neuen Flasche Whisky. Die Lindseys tranken anscheinend Johnnie Walker. Sie schenkte sich etwas ein und ging zurück ins Wohnzimmer. Verdammt, wenn die Leitung unterbrochen war, konnte auch niemand bei ihr anrufen, und sie hatte, gestand sie sich plötzlich ein, auf einen weiteren Anruf von Jon gehofft. Sie seufzte. Er fehlte ihr so.
Der scharfe Knall über ihrem Kopf ließ sie kaum aufschrecken. Sie starrte nur kurz an die Decke, beugte sich langsam vor zum Tisch und griff nach der Flasche.
»Verpiß dich, Marcus«, murmelte sie. »Du bist entweder psychische Energie oder ein Balken, der sich spaltet. Auf jeden Fall gehst du mich nichts an.«
XXXII
Greg fand Allie am nächsten Morgen in der Küche. Sie saß am Tisch und trug noch ihren Bademantel. Ihr Gesicht sah bleich und abgespannt aus. Er setzte sich ihr gegenüber und griff nach der Kaffeekanne. »Wie geht‘s dir, Trottelchen?« fragte er.
Sie sah ihn finster an. »Furchtbar.«
»Hat Ma gesagt, du sollst zum Arzt?«
»Nein. Sie glaubt, daß ich okay bin. Nur müde.«
»Hast du nicht geschlafen?«
»Was denkst denn du.« Sie legte die Arme auf den Tisch und legte den Kopf darauf.
»Wir rufen heute noch bei Joe an und bitten ihn, mit dem Traktor zu kommen und die Düne einzuebnen«, sagte er behutsam. »Dad denkt auch, daß das das Beste ist. Es ist sowieso nur noch eine Frage von Tagen, bis das Meer das Ganze wegspült.«
»Das könnt ihr nicht.« Sie starrte ihn entgeistert an. »Das dürft ihr nicht. Es ist eine archäologische Fundstätte. Das erlaubt man euch nicht!«
»Keiner wird es erfahren. Es tut mir leid, Allie, aber mein Entschluß ist gefaßt. Es gibt da Dinge, von denen man besser die Finger läßt. Wenn du darüber nachdenkst, wirst du mir zustimmen.«
»Nein!« Sie sprang auf und ließ ihren Stuhl schrill über den Steinboden kratzen. »Nein. Das lasse ich nicht zu! Das könnt ihr nicht. Das dürft ihr nicht.«
»Allie -«
»Nein!« Ihre Stimme war zu einem Schrei angeschwollen.
»Verstehst du denn nicht. Die Leute müssen es einfach wissen.
Sie müssen die Wahrheit wissen!«
»Die Wahrheit worüber?« Er runzelte die Stirn.
»Die Wahrheit über -« Sie zuckte mit den Schultern, wurde wieder ruhiger. »Die Wahrheit über das, was in dem Grab liegt.
Die Wahrheit darüber, was dort passiert ist. Die Wahrheit über «
Sie brach mitten im Satz ab. Es war, als sei ihr wieder der Name von den Lippen gerissen worden. »Die Wahrheit darüber, wessen Grab es ist«, improvisierte sie. »Ihr dürft es nicht anrühren. Auf keinen Fall. Wenn du auch nur daran denkst, Joe
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