Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
ich sonst Stunden brauchte, bis ich es endlich in der Tasche gefunden hatte. Und diese Telefone, die nur ein Viertel so groß waren wie meine Hosentasche, die waren einfach nicht für mich gemacht. Ich stolperte zum dritten Mal beinahe in einen der letzten Schneehaufen, weil ich nicht nach vorne guckte, und gab die Suche auf. Bestimmt war mein Telefon in der Ape auf den Boden gerutscht.
Cesare und ich mussten eine Viertelstunde klettern, um die Nordgrenze der Ziegenweide zu erreichen. Ich hangelte mich von Latschenkiefer zu Latschenkiefer, ließ mir von zwei neugierigen Jungtieren die Naht meiner Jeans anknabbern und versuchte gleichzeitig, Cesare zuzuhören. Ohne auch nur ein bisschen außer Atem zu geraten, referierte er über Gletscherschwund, weichende Hochmoore, heimatlose Steinadler und Schneehasen, zeigte da- und dorthin, erzählte von Mehlprimeln, Wollgräsern, dem roten Steinbrech im Allgemeinen und der schopfigen Teufelskralle im Speziellen. Schopfige Teufelskralle, wiederholte ich in Gedanken und nahm mir kurz die Zeit, die Dreitausender in der Ferne zu bewundern, ein tolles Wort. Ich konnte es kaum erwarten, mit Felix zu sprechen. Mein Felix würde bestimmt sofort auf meiner Seite sein und mir helfen wollen, dieses Paradies zu retten.
Denn seit gestern Abend spukte eine Idee in meinem Kopf herum: Warum nicht Cesares Firma selbst übernehmen, besser als Lana Grossa waren wir doch allemal? Warum nicht eine gemeinsame GmbH gründen, Felix und ich, eine Heirat von Wunderland und Alpenküche sozusagen – und warum da nicht ein paar wuschlige Ziegen aus den Dolomiten mit in die Familie aufnehmen? Klar, das war unternehmerisches Risiko – aber war das nicht auch eine Riesenchance? Eine Heirat unserer Firmen, wenn wir schon selbst nicht dazu kamen, endlich den Deckel drauf zu machen?
»Siehst du das?«, riss mich Cesare aus meinem Traum eines Alpenimperiums und zog eines der neugierig näher gekommenen Muttertiere an den Hörnern zu uns her. Das fand die schmutzig-weiße Alpenziege mit dem indischen Migrationshintergrund nicht lustig und stemmte sich mit ihren erstaunlich starken Streichholzbeinen gegen einen grauen Steinbrocken. Aber Cesare war stärker.
»Hier. Fass mal an.«
Ich griff dem armen Tier an den Bauch, ungeachtet dessen, dass die Ziege gleichzeitig lautstarke Winde fahren ließ, die der knatternden Ape gut das Wasser reichen konnten. Meine Hand griff in dicke Wolle und wunderbar weiches Bauchfell, was hatte Cesare denn? Doch der schüttelte nur den Kopf und hielt mir ein einzelnes Haar vor die Nase.
»Das genügt nicht, viel zu drahtig und zu kurz für uns, und hier, riech mal«, Cesare packte mich am Genick und drückte meine überraschte Nase an die Ziegenschnauze, die er mit einer Hand und geübtem Griff an den Backenzähnen aufgehebelt hatte, »riechst du das?«
Ich trat nach hinten aus, um mich zu befreien.
»Bah! Die hat ja krassen Mundgeruch!«
»Siehst du! Das ist die Wärme, das bekommt ihnen nicht. Falsches Klima, falsches Futter, das Gras ist zu saftig.«
Ich wischte mir blasigen und übel riechenden Ziegenspeichel von der Backe und drückte Cesares Arm. Er zitterte vor Aufregung. Das ging ihm alles sehr nah.
»Alles wird gut, mein Bester«, sagte ich und kam mir ungemein businesslike vor, »alles wird gut. Wir werden dir ein Angebot machen. Und jetzt lass uns zurück in die Stadt fahren, ich muss nach meinem Telefon suchen. Und ein bisschen shoppen gehen.«
»Berlusconi fördert keine Ziegen, der fördert höchstens Möpse!«, schimpfte Cesare, als wir am Abend bei seiner Mama unglaublich ölige und unglaublich leckere Gnocchi mit Kaninchenragout aßen. Auf Deutsch, damit Mama Conti das nicht mitbekam. Denn Mama Conti war ein großer Fan des italienischen Oberhäuptlings, mit dessen unerwartet großzügig ausgeschütteter Erdbebenförderung sie seit Jahren immer noch ihre karge Witwenrente aufbesserte, weil sie immer noch in Umbrien gemeldet war. »Berlusconi würde die italienische Ländervorwahl in 0069 umändern, wenn er könnte, die alte Schweinebacke«, pflichtete ich ihm bei und nahm mir mehr als großzügig Parmesan. Durch die Schwere des Abendessens und des dazu gereichten offenen Rotweins behaglich auf der Eckbank festgenagelt, hatte ich mich gerade verdammt weit aus dem Fenster gelehnt und Cesare einen Köder in Form eines möglichen Geschäftsmodells hingeworfen. Mama Conti, die selbst zum Essen die Schürze nicht abnahm, hatte mir begeistert den Teller
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