Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
zu haben – das war noch einmal eine ganz andere Sache. Die ersten vierundzwanzig Stunden in der Klinik zehrte ich noch von unserem Telefongespräch – wer nach diesem Dirty Talk nicht alles stehen und liegen ließ, um zu seiner schwangeren Freundin zu fliegen, war selbst schuld. Die nächsten schlaflosen vierundzwanzig Stunden versuchte ich zu ignorieren, dass meine russische Bettnachbarin vor Besuch geradezu erstickte – und ihr Mann dreimal täglich mit sagenhaft kitschigen Bonbonnieren vorbeikam. Ich guckte angestrengt zur Zimmerdecke, um nicht zu sehen, dass er die ganze Zeit die Hand seiner Frau hielt, während der Vater meiner Kinder unerträglich lange brauchte, um sich an meiner Seite zu materialisieren, und war froh, wenn ich wieder zu einer Untersuchung abgeholt wurde. Und ab dem dritten Tag gab ich auf, mir zu überlegen, wie und warum Felix in welchem Transferflughafen feststeckte, und begann, lieber darüber nachzudenken, woher das nötige Kleingeld für meine gesamten Expansionspläne kommen sollte.
» Wie viel wiegen Sie?«, tadelte mich Frau Doktor Casper in der Abschlussuntersuchung und guckte in meinen Mutterpass. Ich zog den Kopf ein wenig ein, so dick war ich doch noch gar nicht? Hatte mich doch schon Charlotte gewarnt: »Du brauchst am Tag höchstens dreihundert Kalorien mehr – meine Cousine Marissa hat sich einfach ein wenig Gelee Royale ins Müsli gerührt!« Aber dann hatte die Ärztin endlich auch einmal eine gute Nachricht für mich: »Sie wiegen zu wenig! Sie brauchen Substanz! Sie lassen sich jetzt sofort in die Cafeteria bringen – die Spanische Vanilletorte ist gar nicht so schlecht!«
Aber den Kuchen mampfte ich freudlos, weil mir schon wieder Felix in den Sinn kam und ich ihm gern von diesem »Futtern auf Rezept« erzählt hätte. Und weil ich daran denken musste, wie oft und wie gerne er mich früher als Testesserin in die Alpenküche geholt hatte. Früher. Aber: Früher war früher, jetzt ist jetzt! Felix würde schon kommen, und wegen seiner enormen Verspätung konnte er sich auf etwas gefasst machen. Und so gut ich konnte, ignorierte ich meine sentimentalen Gedanken und den Knoblauchgeschmack der Vanillecreme. Und wartete, dass ich aus der Klinik abgeholt wurde.
»Sind Sie mit Frau Hanssen hier?«, fragte die Oberärztin, die mich nach der Entlassung auf den Gang begleitete und mich weiter fürsorglich am Arm stützte, und übergab mich Charlotte wie ein rohes Ei. »Können Sie bitte dafür sorgen, dass Ihre Freundin sich zu Hause hinlegt und die nächsten Monate nicht mehr aufsteht? Denn wenn sie das nicht tut, müssen wir sie hierbehalten.« Charlotte nahm mich in den Arm, aber ich sah genau, dass sie ein Gesicht machte, als hätte sie am liebsten »das haste jetzt davon« gesagt. Sie sah sich anscheinend in ihrer Theorie bestätigt, dass Kinder einfach immer, und zwar schon, bevor sie auf der Welt waren, nichts als Ärger machten.
»Meine Cousine Marissa …«, hob sie an, führte dann aber den Satz nicht zu Ende. War wahrscheinlich besser so. Sie wusste, dass ich beinahe eine Fehlgeburt gehabt hätte. Und sie wusste, dass Felix das nicht wusste. Weil er immer noch nicht nach Hause gekommen war. Und weil er wieder nicht erreichbar war. Aus dem Hotel hatte er jedenfalls ausgecheckt, aber das war auch alles, was ich herausgefunden hatte. Ich jedenfalls hatte das Warten satt, ich hatte Zeit gehabt nachzudenken, und ich würde einfach schon mal loslegen. Denn so wie es aussah, hatte sich mein Leben über Nacht radikal verändert − und es würde im Übrigen erst einmal auf dem Sofa stattfinden. Ich aber war nach wie vor beseelt von der Idee, Cesares Firma zu übernehmen. Und niemals, niemals würde ich meinen Laden aufgeben, auch wenn ich mich selbst erst einmal nicht mehr hineinstellen konnte. Wunderland war schließlich mein erstes Baby gewesen! Wie aber alles unter einen Hut bringen – und dabei auch noch die ganze Zeit liegen?
»Geben Sie bitte auf sich acht«, sagte Frau Doktor Casper noch einmal zu mir, »Blutungen im ersten Trimester sind ein ernst zu nehmendes Warnsignal, und in Ihrem speziellen Fall müssen wir besonders vorsichtig sein. Sie haben strengstes Beschäftigungsverbot!«
»Komm, ich bring dich nach Hause aufs Sofa, blass genug bist du ja«, sagte Charlotte und legte die »Frau im Spiegel« auf den völlig zerlesenen Zeitschriftenstapel zurück, schnappte sich ihre Birkin Bag und sah der Ärztin nach, die sanft die blassgrüne Tür des
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