Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Lunchboxen der Alpenküche, der Geruch abgestandenen Knoblauchs in der Luft und mitten drin mein Schwanentelefon als das Zentrum meines Firmensitzes?
Charlotte machte kurzen Prozess mit mir. Sie stand einfach auf und ging.
»Ich muss los. Die Regiebesprechung ist um drei. Und du bist nicht ganz richtig im Kopf.«
Bevor sie die dunkelgrüne Kassettentür meiner Wohnung hinter sich zuknallte, drehte sie sich noch einmal um.
»Ich wünsche dir viel Erfolg mit deiner wirklich außerordentlich niveauvollen Idee und mit deinem Leben überhaupt.«
»Aber du sagst doch auch immer: wer nicht wagt, der nicht gewinnt!«, versuchte ich meine beste Freundin zurückzuhalten, das konnte doch jetzt nicht sein.
»Zu großer Mut ist kein Mut, würde meine Cousine Marissa jetzt sagen. Und sie hat verdammt recht damit. Bekomm du dein Kind, damit will ich sowieso nichts zu tun haben. Und mit deiner ekelhaften Telefongeschichte auch nicht. Pfui Teufel!«
Zack. Charlotte war weg, einen Hauch von Prada-Parfum hinterlassend. Na toll. Gut, dass ich so unabhängig bin, dachte ich, denn ab heute bin ich noch mehr allein, allein!
Der Schwan klingelte wie verrückt, als wollte er die halbstündige Pause wieder wettmachen. Ich nahm ab, aber niemand meldete sich.
»Hallo? Hallo!«
Nur ein leises Murmeln, was sagte der – Hühnchen? Hündchen?
»Ich verstehe dich nicht!«
Nichts kam mehr. Ich warf den Hörer zurück, ließ den Schwan klingeln und starrte ihn wütend an. Das war sie, meine neue Welt: mein Telefon, mein Sofa und mein Bauch, etwas anderes würde nicht zählen in der nächsten Zeit. Denk an dein Konto, jeden Monat werden die gesammelten Tageseinnahmen darauf transferiert, das Geld wird dich frei machen und unabhängig! Außerdem: Was bleibt dir übrig in deiner Situation? Das ist jetzt kein Spaß mehr, das wirst du gefälligst tun die nächsten Monate! Und ich versuchte, nicht daran zu denken, dass ich gerade meine beste Freundin vertrieben hatte, und hob noch einmal ab. Hoffentlich traute sich dieser Anrufer, etwas zu sagen, ich hasste es, wenn sich am anderen Ende niemand meldete.
»Hallo, hier ist Bella, wie ist dein Tag heute?«
Bevor jeder Klient das erste Wort sprach, war ich nach wie vor unglaublich aufgeregt. Würde es wieder ein Mann sein? Riefen eigentlich manchmal auch Frauen an? Würde der Typ mich beschimpfen, würde er nett sein? Sex ohne Vorspiel war wie Herr der Ringe ohne Ring, und so war es mir am liebsten, wenn wir am Telefon ein, zwei Sätze wechseln konnten, bevor es richtig zur Sache ging.
»Guten – tnfff – Tag!«, hörte ich.
»Adrian! Sind Sie es?«, fragte ich erstaunt. »Schon wieder in der Klinik?«
»Äh, nein. Tnff. Weinen Sie?«
»Nein! Also – ja! Ärger mit meiner besten Freundin! Aber das geht Sie nichts an!«
»Wer eine Freundschaft von Dauer sucht, muss auf dem Friedhof suchen«, sagte Adrian. »Und wo ich bin, tut nichts zur Sache.«
»Wie, das tut nichts zur Sache? Antworte gefälligst, du Wicht!«, schimpfte ich meinen ersten Stammkunden aus und fand es noch nicht einmal bedenklich, dass mein Gefühl, ganz alleine auf der Welt zu sein, gerade einfach so verschwunden war.
25
Marie, meine neue Aushilfe und hoffentlich Geschäftsführerin in spe, kam jeden Morgen pünktlich zum Rapport. Verschwitzt und hektisch holte sie bei mir zehn Minuten Luft, bevor sie unten die Ladentür aufsperrte. Ich erwartete sie, das Telefon ausgesteckt. Morgens zwischen acht und zehn schien die Libido sowieso allerorten am Boden zu sein, zumindest von Montag bis Freitag. Dafür war in meiner Hotline am Wochenende ab sechs Uhr morgens der Teufel los, es landeten die Ruhelosen bei mir, die es nicht geschafft hatten, sich die Nacht zuvor jemanden mit nach Hause zu nehmen und die mit ihrem vom Discobesuch aufgepeitschten Metabolismus keine Ruhe fanden. Der Safarimann zum Beispiel war mein Lieblingssonntagskunde, der immer bei mir anrief, weil wieder keine Frau bereit gewesen war, sich nackt für ihn einen Tropenhelm aufzusetzen und Großwildjagd zu spielen.
»Alles in Ordnung«, nahm mir Marie Tag für Tag das schlechte Gewissen, weil ich die fünf Stockwerke nie nach unten ging, um im Laden nach dem Rechten zu sehen. Aber mein wachsender Bauch sagte mir, was zu tun war: liegen, liegen, liegen. So faul war ich noch nie gewesen, aber ich hatte schließlich einen ärztlichen Befehl. Und so fokussierte ich mich auf das, was zu tun war: nach außen hin essen, brüten, schlafen. Und wenn ich allein
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