Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
mich doch gerne dabehalten würde, bis meine Blutwerte in Ordnung waren. Diagnose: Eisenmangel. Und zu wenig Calcium. Und Magnesium. Ein allgemeiner Mangel also an allem, was in der Lage sein würde, mich mit meinem Riesenbauch auf den Beinen zu halten. Und danach holte mich Schwester Ulla, um mich in ein orange gestrichenes Einzelzimmer zu bringen und mir eine Vitamininfusion zu legen.
Die orange Farbe war allerdings noch das Freundlichste an dieser Umgebung.
»Sie haben wohl nicht so viele – Bekannte?«, fragte Schwester Ulla, als sie kurz ihre Versuche unterbrach, meine Babys mit Eieruhr und der Simulation eines Tankerunglücks zu wecken, um die leere Blumenvase aus meinem Schrank in ein anderes Zimmer zu bringen. Zu werdenden Müttern, die mehr Besuch bekamen.
»Nun, mein Freund ist … und meine Eltern wohnen …«, hob ich zu meiner Verteidigung an und dachte dann aber, was soll’s, eigentlich hat Schwester Ulla recht. Kein Mann, keine beste Freundin, Josef weit weg, und auch vom netten Friedrich hatte ich nichts mehr gehört. Selbst Marie, die gestern kurz und abgehetzt vorbeigeschneit war, wusste nicht, wohin er so plötzlich verschwunden war. Und die anderen Menschen, mit denen ich in den letzten Monaten zu tun gehabt hatte, waren alle geschäftlicher Natur gewesen. Cesare, der Strickkurs, die Strickerinnen – Freunde konnte man die auf jeden Fall nicht nennen. Meinen Eltern und Krimi hatte ich gar nicht erst Bescheid gesagt. Krimi würde wahrscheinlich nur wieder ein nutzloses Paket schicken, und meine Mutter würde mir am Telefon Ratschläge geben, die sie für sich behalten konnte.
Aus dem Lautsprecher des Monitors kam plötzlich hektisches Getrommel.
»Na endlich«, kam Schwester Ulla zurück und patschte mir zufrieden und ziemlich fest auf den Bauch, »da haben wir ja die Herztöne. Geht doch. Und wenn die Cervixkontrolle heute positiv ist, dann mache ich Ihnen Ihre Entlassungspapiere zurecht. Wir brauchen Ihr Bett, und Sie sind doch sicher froh, wenn Sie das verlängerte Wochenende zum Tag der Deutschen Einheit zu Hause verbringen dürfen, nicht wahr?«
39
»Ja, sehr froh, wirklich«, murmelte ich drei Stunden später, als ich mit hängenden Armen im Wunderland stand und mir fassungslos ansah, was in meiner Abwesenheit so passiert war. Die Spielecke war zum Spielen da, klar, aber musste da wirklich so ein Chaos herrschen? Und ich hatte zwar nichts gegen Spielzeug in fröhlichen Farben – aber woher zum Teufel kam plötzlich dieses riesengroße knallbunte Spongebob-Activity-Center?
»Was zu viel ist, ist zu viel«, murmelte ich schwach und umging das hüfthohe Spielzeugungetüm, das mir den Weg in die Stillecke verbaute. Aber was war das? Auf dem hellen Stoff des Lehnstuhls – war das Kinderpipi? Oder Wasser? Ich guckte automatisch nach oben und sah dort oben in der Ecke die gleichen hellbraun umränderten Flecken. Ein Wasserschaden! Wir hatten einen Wasserschaden im Laden! Ich schnaufte aus dem Showroom durch den Gang ins Lager, das an dieselbe Wand grenzte. Mein erster besorgter Blick galt der Decke – tatsächlich, auch hier: ein sich bräunlich abzeichnender Wasserschaden, nicht zu übersehen und leider auch nicht zu überriechen!
Ich befürchtete Schlimmstes und nahm den obersten der knallgelben Pullis aus der unifarbenen Kollektion und roch daran. Eindeutig: modrige Feuchtigkeit! Ich kontrollierte zwei Knäuel Wolle aus den nach Farben sortierten Kisten und hoffnungsvoll einen geringelten Strampler aus dem Regal gegenüber – vielleicht war es ja nicht so schlimm! Aber alles roch wie modrige Wäsche, die zu lange in der Waschmaschine gelegen hatte.
»O nein«, murmelte ich vor mich hin, keuchte vor Anstrengung und Aufregung wie eine Lok und riss die Fenster weit auf, »warum hat mir das keiner gesagt? Das muss ich doch der Versicherung melden! Und die obere Wohnung ist unbewohnt, da haftet keiner! Hier tobt das Chaos! Die Ware ist komplett verdorben!«
Das warf meine ganze Kalkulation über den Haufen, woher sollte ich denn jetzt einen Ersatz bekommen? Das hatte Frau Doktor Casper sicher nicht gemeint, als sie gesagt hatte: »Prima, Frau Hanssen! Den Endspurt, den schaffen Sie jetzt auch noch – und Ihr Muttermund sieht ganz stabil aus, das ist völlig untypisch, dass sich das gegen Ende der Schwangerschaft noch einmal erholt, aber wenn Sie wollen, dürfen Sie ab jetzt gerne auch mal einen kleinen Spaziergang machen.«
»Toller Spaziergang« murmelte ich, die Herbstsonne
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