Erst ich ein Stück, dann du! 3 Drachengeschichten - Themenband 4
Hoffentlich hat es den Winter gut überstanden.“
Der Diener eilte aus dem Thronsaal, um die Vorbereitungen für die Reise des Königspaares zu treffen.
„Ich möchte, dass Poldi mit uns kommt“, sagte Kunibald zu Gertrude. „Der Junge ist nun acht Jahre alt. Allmählich sollte er in die Welt hinaus und lernen, wie man ein Volk regiert und sich gegen seine Feinde wappnet. Schließlich soll er später mal meine Nachfolge antreten.“
„Ach, das hat doch Zeit“,
erwiderte seine Gattin.
„Poldi ist ja noch so verträumt.“
Der König nickte. „Eben“, brummte er. „Es ist höchste Zeit, dass er endlich aufwacht.“
Tatsächlich lag Prinz Leopold in seinem Zimmer unter der Schlosskuppel und blickte verträumt in den blauen Frühlingshimmel. Er hatte sich zusammengeknülltes Toilettenpapier in die Ohren gestopft, damit er von dem Treiben auf dem Schloss nichts mitbekam.
Poldi träumte von großen Abenteuern,
schwarzen Elfen
und wilden Feuerdrachen.
Und er träumte davon, eines Tages die Welt vor einem bösen Zauberfluch zu retten. Seinen Eltern erzählte
er allerdings nichts davon. Ein einziges Mal hatte er König Kunibald gestanden, dass er später, wenn er groß war, ein berühmter Drachenreiter werden wollte. Daraufhin hatte sein Vater herzlich gelacht und schließlich eine sehr ernste Miene aufgesetzt.
„Daraus wird wohl nichts werden, mein Junge“, hatte er gesagt. „Du bist mein einziges Kind. Als Kronprinz wirst du dich später wichtigeren Dingen widmen müssen.“
Seitdem hatte Poldi sich nicht mehr getraut, über seine Träume zu sprechen. Und während er nun in seinem Zimmer lag und den Wolken hinterhersann, klopfte es unten an die Schlosstür. König Kunibald wies den Diener an, zu öffnen. Und Königin Gertrude machte sich auf den Weg in die Kuppel, um ihrem Sohn von der bevorstehenden Reise zu berichten.
Sie raffte ihre Röcke
und eilte die lange Wendeltreppe hinauf.
Alle zehn Schritte
musste sie verschnaufen.
„Poldi!“, rief sie keuchend.
„Poldi, so hör doch bitte.
Deine Mutter hat dir etwas zu sagen.“
Sie hob den Fuß, um einen weiteren Schritt zu machen, und erstarrte. Königin Gertrude hatte zu einem der großen Fenster hinübergesehen, und in dem Augenblick, als ihr Blick auf die Scheibe fiel, gefror diese zu Eis.
Ein Knistern kroch an den Schlossmauern hinauf und innerhalb weniger Sekunden waren die kostbaren Teppiche, die wertvollen Möbel, die Wendeltreppe und Königin Gertrude von einer feinen weißen Reifschicht überzogen.
Poldi bekam von all dem nichts mit.
Er schaute einer dicken Wolke hinterher.
Sie sah aus wie ein Drache.
Die Drachenwolke bäumte sich auf und spuckte Feuer. Sie kämpfte gegen einen bösen Zauberer, der mit seinen Worten großes Unheil anzurichten vermochte, sobald diese auf ein offenes Ohr trafen.
Poldi spürte einen Stich in seiner Brust. Papa, durchzuckte es ihn, und plötzlich hatte er ein ganz komisches Gefühl. Sein Vater – der hatte immer ein offenes Ohr! Für seine Dienerschaft und für seine Untertanen. Jeden Tag kamen Leute ins Schloss und baten darum, dem König ihre Aufwartung machen zu dürfen. Und bisher hatte König Kunibald noch jeden angehört.
Mit einem Satz war Poldi aus dem Bett.
Er riss sich das Klopapier
aus den Ohren
und hechtete zur Tür.
Schwungvoll riss er sie auf
und stürzte auf die Treppe zu.
Als er seine Mutter bemerkte, blieb er wie angewachsen stehen. Ein eiskalter Schauer lief seinen Rücken hinunter. Königin Gertrude sah wirklich zum Fürchten aus. Ihre Augen blickten starr ins Leere, ihre ganze Gestalt, ja sogar ihr Kleid und ihre Hochsteckfrisur war von funkelnden Eiskristallen überzogen, und an ihrer Nasenspitze hatte sich ein Eiszapfen gebildet.
Er war so lang wie ein Küchenmesser.
„Mama“, wisperte Poldi erschrocken.
„Was ist passiert?“
Als sie nicht antwortete, ging er langsam auf sie zu und tippte sie sachte mit dem Zeigefinger an. Königin Gertrude gab ein Knistern von sich, aber sonst rührte sie sich keinen Millimeter. Und eine Antwort bekam Prinz Leopold auch nicht. „Papa!“, rief er nun. „Papa! Hilfe! Bitte komm schnell! Mama ist auf der Treppe eingefroren.“
Poldi wollte weiterlaufen, aber seine Hausschuhe klebten bereits auf dem vereisten Treppenläufer fest. Also zog er sie aus und rannte, so schnell er konnte, auf Strümpfen in die Eingangshalle hinunter.
Das doppelflügelige Eingangsportal stand sperrangelweit offen. Zwei Diener waren auf der
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