Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
hinüberzappt in Septimus Warren Smiths kriegsverschobene Innenwelt, doch Woolf stellt diese Übergänge stets hart aus. Flaubert hingegen schneidet nicht: er zeigt, dass Zerschnittenes, Einzelteiliges vorgefunden wird, und zeigt dann, wie es aneinander gerät. Dabei werden Handlungsübergänge gleitend und auf »natürlich« scheinende Weise aus vorgefertigten Bestandteilen des Romans, unter Einspielung der ein oder anderen Überraschung, gebaut. Felle und Borten folgen einander: bis Zufall und Neigung, Kalkül und Irrationalität zu Ergebnissen führen.
Charles also hat Emma gesehen, sie ihn. Nun schaltet Flaubert auf Stufe zwei, was die Kunst der Überleitung angeht. Sie wird eine Kunst der Beschreibung, eine Sprachkunst der Dinge. Charles besucht den Hof, obwohl der Bauer längst genesen ist, tritt in die Küche. Emma näht, »sie hatte kein Halstuch umgelegt, auf ihren bloßen Schultern sah man kleine Schweißperlen«. Sie bietet Charles etwas zu trinken an, trinkt selbst:
»Da es fast leer war, beugte sie sich hintenüber, um zu trinken. Mit zurückgelegtem Kopf, gespitzten Lippen und gestrafftem Hals lachte sie, weil sie nichts spürte, während ihre Zungenspitze, die sich zwischen den feinen Zähnen hindurchschob, in raschen kleinen Stößen den Boden des Glases ableckte.
Sie setzte sich wieder und nahm von neuem ihre Handarbeit auf, einen weißen Baumwollstrumpf, den sie stopfte. Sie arbeitete mit gesenkter Stirn; sie sprach nicht. Charles auch nicht. Der Luftzug, der unter der Tür hindurchstrich, trieb ein wenig Staub über die Steinfliesen; Charles schaute zu, wie er dahinkroch, und er hörte nur das Hämmern in seinen Schläfen …«
So werden Dinge auf eine Weise in Szene gesetzt, dass Figuren darin aufgehoben scheinen, sich aufladen, wieder entspannen, so wird in dichten Schüben gearbeitet, die auf Lagunen zusteuern, in denen scheinbar nichts geschieht, ein Handlungsstrang, eine Figur abzustürzen drohen. In stetem Wechsel von Impuls und Stockung wird erzählt. Emma schleckt am Boden des Glases, ein Auskosten, Ausprobieren (das vorausspiegelt auf Emmas Ende, als sie das Pulver des Apothekers aus der flachen Hand isst), doch so passiert – nichts. Ausprobierend, kostend lernt Emma Léon kennen, schwärmt für ihn, er für sie, doch dann reist er ab:
»Der nächste Tag war für Emma ein Trauertag. Alles schien ihr in einen schwarzen Dunstschleier gehüllt, der undeutlich über dem Äußeren der Dinge schwamm, und der Kummer verfing sich mit einem leisen Heulen in ihrer Seele, wie es der Winterwind in verlassenen Schlössern tut. Es war jene Träumerei, in die man über das versinkt, was nicht wiederkehrt, die Müdigkeit, die uns nach jeder vollendeten Tatsache überkommt, jener Schmerz schließlich, den die Unterbrechung jeder gewohnten Bewegung, das plötzliche Aufhören eines lang anhaltenden Vibrierens mit sich bringt.«
In derartigen Halte-Stellen der Handlung und der Heldin entwickeln Dinge, seien sie künstlich oder natürlich, seien es Pflanzen, Wege, Wolken, Schirme, Kleider, Schuhe, Strümpfe u. a. ihr Eigenleben. Wir sehen, wie ein Arm sinkt, wie Licht, wie Staub; alles »Inventar« fängt zu leben an. Auch dies sind Künste des Übergangs: Wechsel der emotionalen Räume des Romans, erzählt in der Sprache der Dinge. In ihr vollendet sich das Fließen des Textes, sprich: in ihr wird er erfunden und neu an uns geschmiegt.
Denn Übergang bedeutet auch: Aufladung jedes Teilchens mit allem. Metaphern, mützenwenderisch ausgedacht – gedreht, in Ecken geleuchtet, durchgespielt. Bis das Roman(uhr)werk in seinen eigenen Gelenken, aus eigenem Antrieb, auf Spur läuft; bis das Gefühl beim Schreiben ist, »jetzt geliert der Pudding«, jetzt muss es so sein.
III. Bild und Übergang: Übersetzung
Vor kurzem schaute mich ein dänischer Autor mit großen Augen an: ob mir klar sei, welchen Vorteil es biete, zum Weltmeistervolk des Übersetzens zu gehören? Nicht nur, dass uns viele Werke lesbar gemacht würden, seufzte er, sondern dass von zahlreichen Werken gleich mehrere Übertragungen existierten!
Bislang habe ich Madame Bovary in Wolfgang Techtmeiers Sprach- und Interpretationsgestalt zitiert; natürlich, weil mir seine Arbeit gefällt, wenn es auch hie und da Ungenauigkeiten in syntaktischen Bezügen gibt (wie etwa in dem gleich folgenden Beispiel). Zum Vergleich seien ihm Caroline Vollmanns ebenfalls überzeugende Übertragung an die Seite gestellt sowie die insgesamt ärgerliche
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