Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
hast‹, erwiderte er.
›Und wie blau Eure Augen sind‹, sagte sie.
›Und wie braun und groß die deinen‹, antwortete er.
›Und wie Ihr freundlich sprecht‹, sagte sie.
›Und wie du lieblich bist‹, antwortete er.«
Die ans Herz gehende Wirkung dieser Szene kommt eben aus der archaisch schlichten Sprache, die sich hier ins Liedhafte steigert. Sie erinnert an die Psalmen des Alten Testaments . Leicht könnte man sich die Szene gesungen vorstellen. Sie wiederholt sich übrigens noch zweimal, vier Jahre und dann wieder zwei Jahre später.
Die karge Sprache hat noch eine besondere Seite. Betrachten wir das zweite Kapitel aus dem ersten Band. Witiko begegnet auf seinem Ritt einer Schar von Edelleuten, angeführt von Wladislaw, der im folgenden Kapitel zum Herzog Böhmens und Mährens gewählt werden wird, eine Wahl, die zu jenem Erbfolgekrieg führt, in dem Witiko eine ruhmreiche Rolle spielt. Das allerdings wissen wir bei diesem ersten Zusammentreffen noch nicht, wir wissen auch den Namen des Anführers nicht, der immer nur »der Scharlachreiter« genannt wird. Man reitet eine Weile nebeneinander her. Dabei erzählt ihm Wladislaw, wer die Ritter sind und stellt sie ihm vor. Ich lasse die kaum variierten kurzen Dialoge und die Namen der Reiter weg und zitiere nur jeweils den Augenblick, da Witiko seinen Blick auf den angesprochenen Mann wirft.
Der erste Reiter:
»Witiko sah auf den Mann zu seiner Rechten. Er ritt auf einem schwarzen Pferde. Er war schönen braunen Angesichtes und schwarz von Haar und Augen. Er hatte ein grünes Gewand, auf der schwarzen Haube eine Reigerfeder, und trug Schwert und Hüfthorn.«
Der zweite Reiter:
»Witiko blickte gegen ihn zurück. Er ritt auf einem Goldfuchs, war braun von Haar und Augen, hatte ein braunes Gewand, auf der schwarzen Haube eine Geierfeder, und trug Schwert und Hüfthorn.«
Der dritte Reiter:
»Witiko wendete sich ein wenig auf seinem Pferde, und sah nach dem Manne, der gerufen hatte. Er ritt auf einem braunen Pferde, und war ein sehr schöner Jüngling mit blonden Haaren und blauen Augen und rosenrotem Angesichte. Er trug ein scharlachbraunes Gewand und auf der schwarzen Haube eine weiße Feder. Er hatte Schwert und Hüfthorn.«
Der vierte Reiter:
»Witiko blickte um. Der Mann ritt auf einem Rappen, hatte lichte Haare, grüne Kleider, eine schwarze Feder auf der schwarzen Haube, und trug Hüfthorn und Schwert.«
Diese Beschreibung erinnert an die Bildnisse der romanischen Kunst, die das Typische zeigen und nicht das Besondere, die äußere Haltung, nicht die innere Befindlichkeit. Die Personen in Stifters Roman sind keine Individuen im modernen Sinn, ihre Empfindungen und Gefühle werden nicht näher bezeichnet, ihre Psychologie spielt keine Rolle. Es sind Vertreter ihres Standes, es sind Menschen, die im Auftrag handeln: im Auftrag eines göttlichen Heilsplanes, der sich als historischer Prozess realisiert. Obwohl der Roman die Entwicklung seines Helden schildert, ist er doch kein Entwicklungsroman. Denn Witiko folgt dem Gesetz, unter dem er angetreten ist, und verwirklicht es. Er bleibt sich treu, und das heißt, er verändert sich nicht. »Werde, der du bist«, hat Nietzsche gesagt, der Stifter für einen großen Schriftsteller hielt.
Um einen Begriff aus der Kunstgeschichte zu übernehmen: Bei der zitierten Reiterszene handelt es sich um ein Mehrfeldbild. Stifter zeigt uns mehrere Tableaus, die nebeneinander stehen, aber einen Sinnzusammenhang bilden. In ihnen herrscht ein Ruhezustand, der dem eines Standbildes gleicht: Jede Bewegung ist für den Augenblick festgehalten. Erst die Gesamtheit der Aggregate ergibt eine Bewegung.
In gewisser Hinsicht war Stifter ein moderner Autor. Zu den Merkmalen der Moderne gehört der Zweifel am Erzählen. Die Vorstellung, ein allwissender Autor verfüge über die Macht, aus eigener Vollkommenheit eine ganze Welt neu zu entwerfen und sie gleichrangig neben jene Welt zu stellen, in der wir leben, dieser hoheitliche Anspruch des realistischen Romans ist im 20. Jahrhundert verloren gegangen. Ein programmatisches Dokument dafür ist der berühmte Lord-Chandos-Brief des jungen Hugo von Hofmannsthal. Er formuliert den Zweifel an der Tragfähigkeit der Sprache, den Zweifel an der Konsistenz des Subjekts.
Stifter nun ist kein Mann des theoretischen Interesses, auch hat er vermutlich die genannten Zweifel nicht bewusst erfahren oder sie nicht zugelassen. Aber die Erzählstrategien des Witiko wirken gerade so, als
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