Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
haben, wo doch gerade die zur Verbreitung der Gattung beigetragen haben.
Aber lassen wir im Zeitalter der Gender-Theorien das Leser-Weibchen beiseite und sagen pragmatisch: Lesart 1 beinhaltet einen Roman, in dem Ort, Zeit und Handlung, wenn auch nicht unbedingt in jedem Fall eine Einheit bilden, so doch klar gegliedert sind.
Lesart 2 ist komplexer, der Textfluss wird immer wieder unterbrochen durch Einschübe. Diese Art Roman ist ästhetisch anspruchsvoller, wird aber seltener bis zu Ende gelesen, denn sie eignet sich nicht zur Lektüre in öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Beispiel der Berliner S-Bahn, noch nicht einmal auf der langen Strecke zwischen Königs Wusterhausen und der Greifswalder Straße. Entweder man verpasst es aus Lektüregründen, in Neukölln umzusteigen, oder das Lesezeichen rutscht in der Hektik aus der Seite und man weiß nicht mehr, wo man war – und einmal aus dem Rhythmus gekommen, befindet man sich in einem Labyrinth, aus dem man nur unter Leseverlusten herauskommt. Und die Anschlussbahn ist inzwischen auch verpasst. Kurzum, kein genüsslicher Konsum, sondern Arbeit.
Ob man nun Lesart 1 oder 2 bevorzugt, den essayistischen Roman für Leute mit Zeit und den intelligenten Roman für zwischendurch, beide werden zusammengehalten von dem unter- und hintergründigen Humor des Autors.
Mit seinem Werk war Julio Cortázar, wie auch der andere große Argentinier, Jorge Luis Borges, Wegbereiter für den Erfolg der Werke des Magischen Realismus in Europa, lange bevor dieser Begriff in die Literaturgeschichte Eingang gefunden hatte. Im Gegensatz zu einem Autor wie Gabriel Garcia Márquez hatten die Älteren aber ihre ästhetischen Wurzeln eher in der europäischen oder nordamerikanischen Kultur. Julio Cortázar ist ein Geheimtip geblieben, zu anarchistisch, zu experimentell, zu sperrig, um mit Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen zu werden.
Den schönsten Satz zu Julio Cortázars Werk hat Pablo Neruda hinterlassen: »Wer diese Erzählungen nicht liest, ist verloren. Sie nicht zu lesen ist eine schwere, schleichende Krankheit, die mit der Zeit schreckliche Folgen haben kann. Ähnlich wie jemand, der nie einen Pfirsich gekostet hat. Er würde langsam melancholisch werden und immer blasser, vielleicht würden ihm nach und nach die Haare ausfallen.«
Aufgabe
Ausgangspunkt ist das Himmel-und-Hölle-Spiel in der Fassung, wie sie uns im Cortázarschen Roman überliefert ist. Es gibt Hölle und Himmel als Gegensatzpaar und dazwischen neun Felder, wobei 2 & 3 und 5 & 6 nebeneinander angeordnet sind.
Die Regeln des Hüpfspiels sind die, dass der Stein jeweils von Feld 1 bis Feld 9 geworfen werden muss. Trifft man das entsprechende Feld, muss man auf einem Bein in das Feld hüpfen, (aber nie die HÖLLE betreten!), den Stein aufheben und weiterwerfen. In 2 & 3 und 5 & 6 kann man mit beiden Beinen springen. Wenn der Stein nicht über die Begrenzung fällt oder ein Sprung misslingt, gelangt man schnurstracks in den HIMMEL.
Ähnlich funktioniert auch das Schreibspiel.
Suchen Sie sich eine Meldung der Polizei oder aus der Rubrik Vermischtes einer Tageszeitung. Gut ist, wenn in der Geschichte mehrere Personen in ein Geschehen verwickelt sind. Beispielsweise zwei Räuber, die eine Kneipe überfallen, in der sich noch sieben Gäste befinden, und zwei, die als Zeugen das Geschehen von außen durch das Fenster betrachten. Die Meldung ist HÖLLE, also der Ausgangspunkt. Schreiben Sie nun eine Erzählung in neun Kapiteln. Die Kapitel können der Einfachheit halber chronologisch geordnet sein, wobei 2 & 3 und 5 & 6 zur selben Uhrzeit handeln, aber aus verschiedenen Perspektiven erzählt sein sollten. Es ist überhaupt jede Erzählperspektive erlaubt, auch ein Wechsel der Genres. Ob nun Verse, Theaterszenen oder Short Story, alles kann ausprobiert werden. Natürlich können Sie die Geschichte in der Reihenfolge von 1 bis 9 lassen, mit einem anschließenden »Epilog im Himmel«, in dem sich alles noch einmal zusammenfassen oder ganz und gar transzendieren lässt.
Es kann nun aber auch das eigentliche Lesespiel beginnen.
Nehmen Sie die Abbildung des Himmel-und-Hölle-Spiels . Schnipsen Sie einen kleinen Kieselstein auf ein beliebiges Feld, notieren Sie sich die Zahl und schnipsen Sie den Stein weiter, bis Sie in den HIMMEL gelangen. Auch Rückwärtsschießen ist erlaubt. Sollten Sie beispielsweise den Stein mit zuviel Schwung von 1 gleich in das Kästchen der 7 schnipsen, können Sie auch wieder zurück zu 5, 4
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