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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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weiterhin vergnüglich bleiben, doch es schien keine unpeinliche Art und Weise zu geben, dies zu übermitteln.«
    Man kann dieses Buch lesen als Gegenbild zu dem, was man gewöhnlich von einem guten Buch glaubt erwarten zu müssen: stringenter Textfluss, spannender Handlungsfortlauf, menschliches Drama, großes Gefühl. Der offensichtliche Mangel an Plot und Drama erzeugt einen Sog, in den die dramengeneigte Leseerwartung ständig hineinzustürzen droht, um sich fremdartig fasziniert wiederzufinden: in einem Rauschen von Alltagsdingen und kleinen und kleinsten, sonderbar bekannten Vorgängen.
    Mit den kleinen beginnen dann auch die großen Dinge zu klingen, eine Liebesgeschichte etwa. Während die superfeinen Linien aus Reststaub, die beim Fegen am Rand des Kehrblechs übrig bleiben, immer dünner und beinahe unsichtbar werden (und dabei nicht zuletzt an die Linien der Schrift erinnern, die wohl auch gern ganz hineinverschwinden würde ins Geistige), bekommt Howie einen Anruf von L., und »die Tatsache, dass wir an einem Sonntagnachmittag unabhängig voneinander beschlossen hatten, unsere jeweilige Wohnung zu fegen, nachdem wir das Wochenende gemeinsam verbracht hatten, nahm ich als schlagenden Beweis dafür, dass wir zueinander passten.«

III.
    Die Leute, die glauben, dass gute Geschichten immer einen ausgeklügelten Plot haben müssen, haben Angst. Sie haben Angst, dass da sonst nichts mehr sein könnte, aber das Gegenteil ist der Fall. Rolltreppe ist der Beleg dafür. Raymond Chandler, der Erneuerer des Kriminalromans in den vierziger Jahren, schrieb in einem Brief: »Meine Theorie war, dass die Leser nur dachten, dass für sie die Action die Hauptsache sei; auch wenn es nicht klar war, sie kümmerten sich ziemlich wenig um die Handlung. Worum es ihnen wirklich ging, und worum es mir ging, war das Entstehen von Gefühlen durch Dialoge und Beschreibungen.«
    Jede Geschichte handelt von etwas. Sobald Zeit hinzukommt, kann auch aus einer bloßen Beschreibung eine Geschichte werden. Baker etwa beschreibt das Regenbogenschillern am Rand einer sich drehenden Schallplatte, und diese Beschreibung erzählt uns heute auch, by the way, was in den zurückliegenden 20 Jahren mit Platten und Plattenspielern geschehen ist, beide erst beinah verschwunden, und dann verdoppelt in Form von Turntables und als Vinyl-Editionen für DJs und Liebhaber aus der Asche aufgestiegen.
    Die mit der Angst halten sich an Kriminalgeschichten, eigentlich die größtmögliche Unordnung im gesellschaftlichen und dem individuellen Leben, wie an einem Nothaltegriff fest. Sie sind hingerissen vom Detektiv. Tatsächlich kann man den Detektiv benutzen, um ein Selbstbild des Schriftstellers zu entwerfen: Er arbeitet wie ein Detektiv, auch wie ein Detektiv. Er beobachtet und versucht Dinge herauszufinden, die sich nicht herausfinden lassen wollen oder die man sehen kann, wenn man seinen Blick dafür geschult hat.
    Da ist etwa die Frage, warum es keinen Feiertag zu Ehren des Erfinders der Papierperforation gibt: »Abend für Abend sehen sich die Leute wie Roboter die Nachrichten an, im Glauben, sie lernten etwas über ihr Leben, ohne jemals den viel naheliegenderen Entwicklungen Aufmerksamkeit zu schenken, die nicht als Nachrichten ins Haus kommen.«
    Schulen lässt sich der Blick fürs Schreiben, indem man Bücher wie Rolltreppe liest, die eine Beobachtungsbegierde und Beschreibungslust in einem entfachen (oder Bücher wie Das Gewicht der Welt von Peter Handke, oder Der Fremde von Albert Camus, oder Von Hier nach Dort von Peter Rosei, oder Goethes Wahlverwandtschaften ). Im Unterschied zum tatsächlichen Detektiv arbeitet der Schriftsteller nicht für einen bestimmten Auftraggeber, darin unterscheidet er sich auch vom Journalisten. Der Schriftsteller arbeitet als Detektiv in jedermanns Auftrag.

IV.
    Dinge durchlaufen mit den Jahren Veränderungen, und Rolltreppe erzählt auch von den vielfältigen Entwicklungen, die mit dem Heranwachsen und Älterwerden verbunden sind – wobei die Menschen in einer kunstvollen Umkehr als eine Art seelenvoller Schatten der Dinge erscheinen -, »und die einzige Möglichkeit, das Ausmaß, die Tragweite und die Auswirkungen dieser Veränderungen zu begreifen, die die oft undokumentierte tägliche Struktur unseres Lebens ausmachen (eine grobe, kiesige Struktur, wie das Bankett einer Straße, das normalerweise zu schnell für eine mikroskopische Untersuchung vorbeirast), besteht darin, frühere Bilder dieser Dinge, in welcher

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