Erste Male
machen.«
Ganz schön raffiniert, diese Havisham. Sie wusste genau, damit hatte sie mich am Haken. Den Sport hatte ich abgedeckt, mit meiner Schülerratsarbeit auch den Dienst an der Gemeinschaft und die Führungsqualitäten, aber mir fehlte noch die kreative Seite, um als der vielseitige Charakter rüberzukommen, den Elite-Unis so schätzen.
So wurde ich also Leitartikelschreiberin für The Seagull’s Voice . Bis Ende der Woche muss ich ein Thema für meine Kolumne haben. Meine erste Idee, »Warum es scheiße ist, zu freiwilligen AGs gezwungen zu werden«, lehnte Havisham gleich mal ab. Von wegen Redefreiheit.
Hier noch ein interessanter kleiner Nachtrag. Um mir beim Nachdenken zu helfen, gab mir Havisham eine Listealler Artikel der nächsten Ausgabe mit den dazugehörigen Verfassern mit. Beim Drübergehen fiel mir sofort auf, dass ich nicht die Einzige war, die sich nicht freiwillig gemeldet hatte. Aber ich war Havisham als Einzige aufgefallen oder jedenfalls wichtig gewesen. Der Name Marcus Flutie fehlte ebenfalls. Schön für ihn, schlecht für uns, dachte ich. The Seagull’s Voice braucht auch seine Stimme. Zumindest ich brauche sie.
SECHZEHNTER
Erlaubt mir, den Telefontriumph des heutigen Abends in voller Länge zu dokumentieren:
Miss Hyacinth Anastasia Wallace: Hi, Jess.
Ich: Du bist gar nicht Hope! Dad hat gesagt, Hope wäre am Telefon!
MHAW: Ich habe gelogen, damit du rangehst.
Ich: Lügen kannst du ja auch am besten, oder? Wiederhö-
MHAW: Leg nicht auf! Lass mich doch mal erklären …
Ich: Und wieso, bitte?
MHAW: Weil du die Einzige bist, wegen der ich ein schlechtes Gewissen habe.
Ich: Du hast genau zehn Sekunden Zeit.
MHAW: Ich mag dich echt gern. Was meinst du, wieso ich irgendwann nicht mehr mit dir abgehangen habe?
Ich: Noch fünf Sekunden.
MHAW: Manda und Sara haben mir viel besseres Material geboten …
Ich: Zeit ist abgelaufen.
MHAW: Ich möchte mit dir reden.
Ich: Und wieso? Damit ich dir das Drehbuch für den Fernsehfilm liefern kann?
MHAW: Schwester, ich …
Ich: Ich bin nicht deine Schwester . Ruf nie wieder an und schick mir auch keine Mails mehr.
Klick.
Nach allem, was sie sich geleistet hat, besitzt Hy die Frechheit, sich als meine beste Freundin im gesamten Universum auszugeben. Und was die Sache noch schmutziger macht: Hope hat in ihrem ganzen Leben noch niemanden absichtlich hintergangen. (Muss ich überhaupt erwähnen, wie traurig die Rolle meines Vaters dabei ist? Der interessiert sich so wenig für mich, dass er nicht mal die Stimme meiner allerbesten Freundin erkennt. Zum Heulen!)
Ich weiß gar nicht, warum ich so geschockt bin. Miss Hyacinth Anastasia Wallace führt eben das abgebrühte, abgefuckte und abgedrehte Leben eines New Yorker Geldadel-Teens. Ihr Vorstadt-Experiment war nur ein Extrembeispiel für ihre Einstellung: Mir steht alles zu, was ich verdammt noch mal haben will. Bloß nutzte ihr in diesem Fall weder der Name ihrer Eltern noch deren Bankkonto. Sie brauchte uns, um das zu kriegen, was den verwöhnten Gören berühmter Eltern fehlt: Glaubwürdigkeit.
Schluchz! So eine schwere Last, in die oberste Kaste geboren zu sein. Mir fällt einfach alles in den Schoß! Sex, Drogen, Manolos … Schluchz! Ich bin ein wandelndes Klischee! Kein Mensch nimmt mich ernst. Wäre ich doch bloß … aus der Mittelschicht. Dann wäre mein Leben herrlich einfach. Was mache ich also? Ich zieh mal eben ins elende New Jersey (igitt!) und lache mir ein paar armselige Shopping-Mall-Tussis an, die bestimmt noch nie auf der richtigen Seite der roten VIP-Samtkordel gestanden haben. Ich erschleiche mir ihr Vertrauen, erfahre ihre Geheimnisse und beute sie dann schamlos aus. Während also der Rest meiner Park-Avenue-Posse fickt und shoppt und Drogen schnupft, schreibe ich einen Roman über meinen Vorstadt-Albtraum, der noch viel schlimmer war als alles, was ich nachts im Village zu sehen kriege. Meine Metamorphose vom Partygirl zur Autorin wird die ganze Welt so schwer beeindrucken, dass mir kein Mensch vorwirft, bloß meiner Eltern wegen von Harvard genommen zu werden …
Das Gute an diesem Gespräch ist, dass ich jetzt ein Thema für meinen Essay habe. »Miss Hyacinth Anastasia Wallace: die Falschspielerin von der Park Avenue«.
SIEBZEHNTER
Sind wir bereit für einen Weltkrieg?
Heute Morgen in der ersten Stunde habe ich Sara erzählt, wie ich Miss Hyacinth Anastasia Wallace am Telefon fertiggemacht habe. Sie ist genau die Richtige, um solche Triumphe zu teilen,
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