Erste Male
Interesse an meinem Leben zeigt, wo es so aussieht, als wäre ich noch rechtzeitig für ein paar Hallenrennen wieder fit. Warum ich mir trotz des endlosen Geplappers meiner Mutter über Bethanys Besuch zu Thanksgiving noch nicht mit einer Stricknadel die Trommelfelle durchbohrt habe.
Und dieser Grund ist Marcus Flutie.
Wir sprechen uns später, hatte er gesagt. Und er hatte es wirklich so gemeint.
Am Montagmorgen sah alles noch hoffnungslos aus. Vor der ersten Stunde sprach er nicht mit mir, weil er mit seiner dämlichen Freundin Mia rumknutschen musste. In der ersten sprach er auch nicht mit mir. Nach der ersten sprach er immer noch nicht mit mir, weil er schon wieder mit Mia rumknutschen musste.
Als er sich dann in der nächsten Unterrichtsstunde hinter mich setzte, nahm ich an, wir wären jetzt wieder auf der Schiene »Verschwiegene Komplizen«. Aber dann tippte er mir auf die Schulter und sagte was total aus der LuftGegriffenes. Ich dachte echt schon, er sei wieder auf Drogen.
»Wusstest du, dass durchschnittliche Amerikaner sechs Monate ihres Lebens vor roten Ampeln verbringen?«
»Was?«
»Sechs Monate, vergeudet damit, auf die Erlaubnis zum Weiterfahren zu warten«, sagte er.
»Aha.«
»Überleg doch mal, was man mit so viel Zeit anfangen könnte.«
Ich war total verwirrt. »Im Auto?«
»Im Leben«, sagte er.
»Ach so.«
Dann fing Bee Gee an, über Präsident Roosevelts »New Deal« zu reden, und das war’s.
So ging das die ganze Woche. Vor dem Geschichtsunterricht tippte Marcus mir auf die Schulter und stellte mir eine Frage, die oberflächlich betrachtet ohne jeden Bezug war. Aber dann entstand daraus ein viel gehaltvolleres Gespräch, als ich nach so einer Eröffnung erwartet hatte. Schwer zu erklären – es war so eine Art verbaler Rorschachtest.
Am Freitag überraschte es mich schon gar nicht mehr, dass die Frage nach meinem Lieblingsschauspieler nicht auf die Entscheidung zwischen John Cusack und diesem Typen hinauslief, der in Sixteen Candles Jake Ryan gespielt hat, sondern darauf, dass jeder Zeitschriftenartikel und Fernsehbericht, der angeblich irgendeinen Star seinen Fans »näherbringen« soll, in Wirklichkeit bloß weiter an dem riesigen Altar baut, vor dem wir der Berühmtheit huldigen.
Oder so ähnlich.
Diese Gespräche wirken wie ein Glas Likör mit einem Schuss Tabasco hinterher. Kurz, süß und seltsam, undgleichzeitig wird mir davon heiß, schwindlig und wirr im Kopf.
Was eine Woche so ausmachen kann. Vor gerade mal 168 Stunden haben wir noch nicht miteinander gesprochen. Jetzt tun wir’s. Die Kehrseite ist natürlich, dass nächsten Freitag alles schon wieder vorbei sein kann.
Das kann ich nicht zulassen. Es gibt noch so viele Themen zu besprechen, ehe wir diese … Beziehung oder was auch immer weiterentwickeln können: Die Joghurt-Verschwörung. Den Origami-Mund. Middlebury. Mia. Drei Kisten Donuts. Heaths Tod. Hope.
Weil ich ja weiß, dass er nachts Unterhaltung braucht, habe ich beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und Marcus am Montag eine direktere Frage zu stellen. Ich kann nachts nicht schlafen. Und du?
Mal sehen, wie sich das entwickelt.
NEUNTER
Er hat angerufen!
Ruferkennung ist die allerbeste Erfindung aller Zeiten. Als ich nämlich Marcus’ Namen und Nummer auf der Anzeige sah, konnte ich vor dem Sprechen noch mal lang und tief Luft holen, um nicht zu hyperventilieren.
»Hallo?«, sagte ich mit so hoher Stimme, als ob ich gerade einen Zug Helium genommen hätte.
»Heute stelle ich dir keine Frage, um ins Gespräch zu kommen«, sagte Marcus, ohne ein Hey oder Hi oder Wie geht’s?
»Nein?«
»Nee«, sagte er. »Diese Fragen waren doch bloß Konversationskonstrukte.«
»Was?«
»Bloß so Appetithäppchen, die ich dir hingeworfen habe, damit es losgeht.«
»Ach so.«
»Aber so was brauchen wir nicht mehr.«
»Nein?«
»Nein. Wir können uns genauso gut ohne unterhalten.«
Und dann bewiesen wir eine Stunde und siebenundvierzig Minuten lang, dass er Recht hatte.
Hier eine unvollständige Liste der nächtlichen Gesprächsthemen: halb gelochte Wahlkarten aus Florida, die Olsen-Zwillinge, Aids in Afrika, falsche Tattoos, Ge-he-le-fe-heim-heim-le-feim-spra-ha-le-fa-chen-hen-le-fen , die unsichtbaren Dimensionen unseres Universums, Klonen, abgehalfterte Gitarrengötter in zu engen Lederhosen, verkürzte Sommerferien, Schönheits-OPs und ihre Opfer, Napster.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so ein Gespräch geführt
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