Erste Male
war überwältigt.
Plötzlich bog der Volvo meiner Mutter in die Einfahrt. Oh Mann! Ich musste so schnell wie möglich hier raus.
»Ähm, das ist meine Mutter«, sagte ich und zeigte auf die angespannte Blondine, die unbedingt wissen wollte, wer es wagte, seinen Riesen-Cadillac vor ihrem perfekt gestalteten Vorgarten zu parken. Wie jeder Grundstücksmakler weiß, kommt es vor allem auf den ersten Eindruck an. »Ich muss los.«
»Zu spät«, sagte er. »Sie hat dich eh schon ertappt.«
Richtig: Ich konnte mich auf ein Jungs-Verhör gefasst machen, egal, was ich jetzt tat. Aber ich wollte aussteigen, bevor sie womöglich mit den Ringen ans Fenster klopfte und schrie, Runter von meinem Grundstück! Doch zuerst musste ich ihn noch was fragen, und irgendwie hatte ich endlich genug Mut dafür gesammelt.
»Marcus?«
»Ja?«
»Dieser Brief, den du mir geschrieben hast … weißt du noch, letztes Schuljahr, nach dem, ähm, Vorfall ?«
»Jaaaaaaaa.«
»Äh … was stand drin?«
Er zuckte kurz und heftig mit dem Kopf, als ob er die Worte wieder aus den Ohren schütteln wollte.
»Du hast ihn nicht gelesen?«
»Ähm, ich, ähm, hab ihn irgendwie verloren, bevor ich dazu kam.«
Er legte den Kopf aufs Lenkrad und sagte nichts.
»War es wichtig?«
Nach ein paar weiteren Sekunden des Schweigens erwachte Marcus wieder zum Leben.
»Weißt du was?«, sagte er. »Eigentlich ist es sogar besser, dass du ihn nicht gelesen hast.«
Jetzt war ich total verwirrt.
»Was? Wieso?«
»Es ist einfach besser«, sagte er. »Vertrau mir.«
Ihm vertrauen. Marcus Flutie vertrauen. Oh Mann, oh Mann. Wieso hatte ich das Gefühl, dass ich ihm tatsächlich vertrauen konnte?
Mom rannte schon hektisch auf der Veranda hin und her, in wenigen Sekunden würde sie zuschlagen. Ich musste echt raus hier, bevor sie was total Peinliches machte.
»Danke, dass du meinen Leitartikel gut fandst.«
»Danke, dass du ihn geschrieben hast.«
Dann beugte sich Marcus vor, um die Beifahrertür aufzumachen. Er drang in meinen persönlichen Raum ein, wie ich in Psycho gelernt hatte, und instinktiv drückte ich mich tiefer in den Sitz. Aber er kam bloß noch näher. Ich war praktisch schon mit dem Leder verschmolzen, weiter konnte ich nicht, es sei denn, ich würde auf den Rücksitz hüpfen. Marcus war flüsternah.
»Wir sprechen uns später.«
In jedem anderen Zusammenhang wäre das bloß eine Floskel gewesen, um das Gespräch höflich zu beenden. In diesem Fall aber bedeutete es mehr. Das wusste ich einfach.
Warum muss morgen ausgerechnet Samstag sein?!
Sekundenbruchteile nachdem der Caddy losgefahren und ich vor der Tür angekommen war, fragte Mom nach dem Fahrer.
»Kennst du nicht«, antwortete ich.
»Ist er dein Freund ?«
»Auf keinen Fall, Mom.«
»Bloß ein Freund?«
»Ähm, eigentlich nicht.«
»Wer ist er dann?«
»Bloß so ein Typ, Mom«, sagte ich. »Niemand.«
»Niemand kann er gar nicht sein, Jessie.«
Ich weiß nicht, wann meine Mutter zum letzten Mal so Recht hatte. Marcus Flutie hatte null Chance, je mein Freund zu sein, und noch weniger würde er ein richtiger Freund werden. Aber nach dieser Konversation im Caddy würde Marcus Flutie auch nie mehr ein Niemand sein. Jedenfalls nicht für mich.
1. NOVEMBER
Hope,
ich hatte schon befürchtet, wegen der Rückkehr vom Club der Ahnungslosen gestern würde es das grausigste Halloween aller Zeiten werden. Ich hatte mir ausgemalt, dass sie während ihrer Aussperrung untereinander das Kriegsbeil begraben und einen Racheplan mit literweise Schweineblut gegen mich ausgeheckt hatten. (Ich habe am Wochenende Carrie auf Kabel gesehen.) Aber zum Glück hassen sie sich alle noch gegenseitig, also beschränkten sich ihre Angriffe auf echt fiese Blicke.
Ich weiß, diese Spannungen sind aus tausend Meilen Entfernung nur schwer nachzuvollziehen. Darum füge ich eine praktische Tabelle bei, die ich heute während der Stillarbeit angefertigt habe. Wegen der richtigen »Relationen«. (Zwinker.)
Deine analytische J.
NOVEMBER
VIERTER
Lalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalaladida.
Es gibt nur einen Grund, warum ich trotz der Ahnungslosen so entspannt bleibe. Warum es mir egal ist, dass sie mich demonstrativ ignorieren oder sogar – wie Sara – eine E-Mail-Kampagne starten, damit der ganze Rest des Jahrgangs mich genauso hasst wie sie. Warum meine Krankengymnastik anscheinend weniger schmerzhaft ist als früher. Warum es mich nicht stört, dass Dad plötzlich wieder
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