Erstens kommt es anders ... (German Edition)
zögernd legte sich das Stimmengewirr. Birch wartete, bis komplette Stille eingetreten war, erst dann fuhr er fort. »... Eine enge Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Vorstand ist für das weitere Gelingen der Stiftung unerlässlich. Daher verfüge ich, dass beide Vorsitzenden mindestens einmal wöchentlich deren Belange in einem persönlichen Gespräch diskutieren.«
Stevies Kopf fuhr hoch und traf abermals direkt Michaels Blick. Als sie dessen ironisches Lächeln sah, konzentrierte sie sich diesmal energisch auf die Maserung des Tischplattenholzes.
Echt! Das konnte ja heiter werden.
Die Testamentseröffnung war am Tag nach der Beerdigung erfolgt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Stevie die Kanzlei seit einer Woche nicht mehr gesehen – mit anderen Worten: Sie hatte Michael nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Nachdem sie an jenem Tag fluchtartig sein Büro verlassen hatte, saß sie aufgewühlt und ratlos an ihrem Schreibtisch.
Eine halbe Stunde später öffnete sich die Tür und er erschien im Rahmen. Seine Miene zeigte nicht die geringste Regung, Gleiches galt für die Tonlage.
»In Anbetracht der Lage sollten wir die Kanzlei bis nach der Beisetzung schließen.«
Das war alles, was er beizutragen hatte, und Stevie ging ohne ein Wort, selbst, ohne ihn noch ein zweites Mal anzusehen. Zu beidem bekam sie keine Gelegenheit, denn kaum war dieser Satz geäußert, verschwand er.
Nicht in sein Büro, sondern aus der Kanzlei.
Vanessa war vierzehn Tage zuvor endlich in der Entzugsklinik aufgenommen worden.
Das Sanatorium lag im nicht weit entfernten Castle Rock, sodass Besuche zwar beschwerlich, jedoch nicht unmöglich waren. Allerdings herrschte in den ersten vier Wochen absolute Kontaktsperre, weshalb Stevie ganz allein in der verwaisten Wohnung und mehr oder weniger arbeitslos zurückblieb.
Erst in der Einsamkeit ihres Appartements konnte sie nach und nach die Ereignisse erfassen, die offensichtlich alles verändert hatten. Victors Tod. Das danach ...
Schloss sie die Lider, spürte sie augenblicklich seine Lippen auf ihrem Mund und die zärtliche Hand auf ihrem Rücken, ihrem Körper, ihrer Haut. Nur dieser umwerfende Duft … Diesmal half kein Anherrschen oder energisch zur Ordnung rufen. Egal was sie tat, die Sehnsucht nach ihm wollte nicht verschwinden, stieg sogar mit jedem Tag und das, wo so etwas doch strikt verboten war! Daher bemühte Stevie sich in den folgenden Stunden, Tagen, Wochen, so selten wie möglich zu blinzeln.
Ihre Wut auf ihn stieg übrigens zeitgleich und in selbem Maße. Erstens war auch das verboten und außerdem hätte es dafür keinen ungeeigneteren Moment geben können! Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht?
Sein Vater war tot!
Und Michael hatte nichts Besseres zu tun, als genau diesen Augenblick zu nutzen, um mal wieder so ganz Michael zu sein!
Idiot!
In den folgenden Tagen machte Stevie die Erfahrung, dass sie ohne Arbeit nichts mit sich anzufangen wusste. Bis zum Freitag hielt sie sich leidlich. Genau genommen bis Freitagabend, als sie sich auf ihrer gemeinsamen Bank einfand und er nicht erschien. Dies beschrieb ihren ersten Tiefpunkt. Einer von vielen, die noch folgen würden. Niemals hätte sie es zugegeben, doch er fehlte ihr, unsagbar sogar.
Etwas Neues hatte sich zu den verbotenen Bildern und Gefühlen gesellt, sobald sie die Augen schloss. Jetzt sah sie auch immer den Ausdruck, mit dem er sie nach Hause geschickt hatte. Nicht etwa zornig, damit wäre sie wunderbar zurande gekommen. Aber diese Resignation, diese ergebene Gelassenheit ...
Es machte Stevie zu schaffen, weil es so gar nicht in ihr Denken passte.
Wütend knirschte sie mit den Zähnen.
Dieser verdammte Dackelblick! Verflucht seist du dafür, Michael Rogers!
Das leere Appartement erschien ihr wie ein Gefängnis, dem sie nicht entrinnen konnte. Wohin sollte sie denn auch gehen? Es gab niemanden, der ihren Besuch vielleicht begrüßt hätte.
Leider.
Am Sonntag fühlte sie sich derart mies, dass sie freiwillig zu Bianca auf den Campus fuhr, nur um dieser grauenhaften Stille ihrer Wohnung zu entkommen. Nur blöderweise war die äußerst beschäftigt und hatte keine Zeit für ihre Schwester. Nicht einmal hassen durfte Stevie sie dafür, denn sie erwischte Bianca nicht etwa bei der Planung einer heißen Party, sondern beim intensiven Lernen für eine bevorstehende Klausur.
Und so ging sie unverrichteter Dinge nach Hause zu einer neuen Flasche Cognac. Wenigstens wartete die auf Stevie, denn ansonsten schien sie
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