Erwachen
Vizekönig von Rosewood Hall beraubt fühlte.
Ich löste mich von Gwydion und legte meine Hand beschwichtigend auf Nathaniels Arm. „Gwyn und Emrys sind meine Brüder, das weiß Tamarisk. Das ist alles. Nun bring mich bitte heim!“
Das tat er, und er wich nicht von meiner Seite. Zu dumm für ihn, dass ich wortlos mit meinen Brüdern kommunizieren konnte. Und dass Emrys mir mitteilen konnte, was Gwydion ihm zuflüsterte:
„Wir sprechen später über Tamarisk und ihre Orakelsprüche. Später. Allein. In der Grotte.“
Beim Abendessen saß ich wie gewohnt zwischen Emrys und Gwydion, gegenüber von Nathaniel, der den ganzen Tag mit mir verbracht hatte.
Er hatte mir nach der Rückkehr aus dem Elfenwald vorgeschlagen, mit ihm hinunter ins Dorf Rosewood zu fahren und ein paar Besorgungen zu machen.
In meinem ganzen Leben war ich vielleicht nur zwanzig Mal im Dorf am Fuße des Berges, auf dem Rosewood Hall thronte, gewesen. Patricia hatte es uns, als wir uns noch nicht gewandelt hatten, ein- bis zweimal im Jahr erlaubt, dort unsere Nachmittage zu verbringen. Nach meiner Wandlung hatte ich bisher keinen Gedanken an Rosewood verschwendet.
Nathaniel und ich hatten in einem Pub zu Mittag gegessen und danach dem Vikar einen Besuch abgestattet, um mit ihm unsere kirchliche Trauung zu besprechen.
Der Vikar war ein lustiger, sympathischer alter Mann, der Nathaniel mindestens zweimal zu seiner wunderschönen Braut beglückwünscht hatte.
Als wir das Pfarrhaus verlassen hatten, griff ich ganz automatisch nach Nathaniels Hand, und dieser lächelte mich glücklich an. In drei Wochen würde ich seine Frau werden, da sollte ich mich daran gewöhnen, seine Hand zu halten, hatte ich bei mir gedacht.
Tamarisk hatte mir unmissverständlich klargemacht, dass diese Hochzeit stattfinden musste. Ich konnte mir nicht länger etwas vormachen und musste mich meinem Schicksal stellen.
„Wir müssen noch zum Schneider“, bemerkte Nathaniel. „Ich möchte, dass du neue Kleider bekommst.“
Ich lachte fröhlich auf und nickte.
„Hast du ein Hochzeitskleid?“ fragte er.
„Ich trage das von Patricias Mutter“, antwortete ich.
Nach diesem Besuch in Rosewood hatte ich gerade einmal eine Stunde Zeit, mich frisch zu machen und für das Abendessen umzuziehen. Und wenn ich mich an der Tafel zu Ceridwen gesetzt hätte, hätte ich damit Nathaniel vor den Kopf gestoßen, der sich wirklich galant und liebevoll um mich bemüht hatte.
So saß ich nun neben Emrys, dessen körperliche Nähe meine Kehle austrocknete.
Ich griff nach dem Wasserglas und trank es in einem Zug leer, doch das heiße Kratzen im Hals verschwand nicht. Da begriff ich, dass ich unter dem wahren Durst litt. Mein Körper verlangte nach Emrys‘ Blut und dem darin enthaltenen Thrylialicht.
Ich spüre es auch , bemerkte Emrys und trank ebenfalls sein Glas leer.
Wird es immer so sein? fragte ich, während ich mir einen Rosenkohl in den Mund schob.
Zu Anfang ist es normal, dass wir uns mindestens einmal täglich nähren müssen. Später reicht einmal die Woche aus, wenn wir es so wollen.
Und wenn wir uns nicht nähren, wird es uns schlecht gehen? fragte ich dumpf.
Wir werden schwächer, wir beginnen zu altern und trocknen langsam aus.
Ich ließ meine Hand sinken und hielt einen Augenblick inne. Vor meinem Auge tauchte das Bild von Emrys auf, der so staubtrocken war, dass eine bloße Berührung ihn zerbröckeln ließ. Emrys…
Er kicherte innerlich, als er die Bilder, die ich ihm zeigte, ebenfalls sah. Das wird niemals geschehen, Carys! Und selbst wenn wir voneinander getrennt wären, könnten wir durch fremde Nährung den Zerfall verhindern.
Eine kalte Hand hielt meinen Herzschlag an. Du wirst dich nicht von einer anderen nähren! zischte ich erbost.
Wirst du dich von Nate nähren? Seine Stimme klang hohl.
Nein, das habe ich mit Nate ausgehandelt. Und wie es aussieht, wird er mich nicht einmal bei der Hochzeitszeremonie beißen. Patricia hatte vorhin so etwas erwähnt. Morgen will sie mit mir darüber sprechen.
Das Geräusch, das er innerlich von sich gab, klang nach einem Seufzer der Erleichterung. Der Gedanke, dass er dich beißt, macht mich ganz rasend! Es ist das Zeichen, dass du ihm gehörst!
Ich zuckte zusammen. Ich gehöre weder ihm, noch gehöre ich Rosewood Hall, Emrys! Ich gehöre nur dir!
Emrys klang traurig, als ich seine Stimme wahrnahm:
Ich habe alles verloren: mein Leben, meine Liebe, meine Identität –
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