Erwachen
Person in ihren Körper schlüpfen würde.
Aber das hätte er nur wissen können, wenn er mit Clarence und Konsorten zusammengearbeitet hätte. Und das war ganz entschieden nicht der Fall.
Während ich mir das Problem durch den Kopf gehen ließ, drehte ich im Geist die Lautstärke der Schoolhouse-Rock— Melodie lauter. Vielleicht wussten die Bösen, dass ein Kämpfer auf den Plan treten würde, und Deacon war beauftragt, ihn auszubremsen. Aber wenn dem so wäre, würde er mich dann nicht eher töten statt retten wollen?
Mit gerunzelter Stirn dachte ich über die Situationen nach, in denen ich beinahe gestorben wäre. Vor dem Haus des Rufers. In der Gasse hinter der Kneipe, kurz nachdem Deacon mich stehen lassen hatte.
Ich seufzte. Vielleicht hatte er wirklich versucht, mich zu ermorden.
Nur, dass sich das einfach nicht richtig anfühlte. Allerdings konnte ich mir, wenn es um Deacon ging, nie sicher sein, ob ich wirklich objektiv blieb.
»Hör endlich auf, Conjunction Junction zu singen!«, sagte Clarence. Ich zuckte zusammen. »Gib’s auf!«, fuhr er fort. »Er ist ein Dämon. Was erwartest du? Dämonen lügen. Das liegt in ihrer Natur.« Er ließ sich auf das Sofa fallen und legte die Füße auf den Beistelltisch. »Ruh dich aus! Meditier ein bisschen. Ein Bier kannst du dir nicht genehmigen, weil du zu faul zum Einkaufen warst, aber ruh dich aus. Du musst heute noch im Pub arbeiten, und da musst du auch unbedingt hin. Verhalt dich möglichst normal und sieh zu, dass du die ganze Zeit beschäftigt bist. Und sobald deine Schicht zu Ende ist, gehst du sofort zu Zane und trainierst. Das ist alles, was du von jetzt an in deiner Freizeit tust. Hast du das kapiert?«
Ich versicherte es ihm, und nachdem er gegangen war, lief ich ziellos durch die Wohnung. Ich versuchte, es in meinen Kopf zu bekommen, dass Deacon Alice getötet haben sollte. Konnte das wirklich stimmen? Verarschte er mich tatsächlich dermaßen?
Ich wollte es nicht glauben, aber der Zeitpunkt des Überfalls in der Gasse war schon ziemlich auffällig. Erst hatte Deacon mir gesagt, er sei gefährlich, und ein paar Minuten später war ich gestorben.
Das war schon ein verdammt seltsamer Zufall.
Aber er hatte sich die falsche Frau für seine Spielchen ausgesucht! Er hatte meinen Schutzwall zwar überwunden und war mir ganz schön nahe gekommen, aber das würde ich ihm schon noch heimzahlen.
Passenderweise hatte mir das Schicksal das Werkzeug geliefert, um diesen Traum wahr werden zu lassen. Ich konnte dieses Schwein abmurksen, und zwar aus Rache und im Namen Gottes.
War das nicht klasse?
Nur fühlte es sich leider gar nicht klasse an. Es fühlte sich bitter an. Bitter und kalt und falsch.
Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich für diesen Job nicht völlig ungeeignet war. Was für eine Prophezeiung legte denn bloß das Schicksal der Welt in die Hände eines Mädchens wie mir? Eine ganz schön bescheuerte, das stand mal fest.
Dieser Gedankenwirrwarr ging mir auf die Nerven. Und ich hasste es, dass Clarence immer in meinen Kopf schauen konnte! Das bedeutete, ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich konnte aufhören, die dämonische Essenz abzuspalten, die ich in mich aufnahm, oder ich konnte mir diesen Geheimnishüter besorgen, von dem mir Madame Parrish erzählt hatte. Die erste Möglichkeit kam nicht infrage, also entschied ich mir für Nummer zwei.
Soweit ich wusste, war ein Geheimnishüter etwas, das man nicht im Supermarkt kaufen konnte. Also versuchte ich es erst mal über das Internet und gab einen umfassenden Suchbefehl ein. Als ich daraufhin eine Million unsinniger Treffer erhielt, wurde ich fuchsteufelswild und fügte dem Suchbegriff noch »Dämon« hinzu.
Erstaunlicherweise erhielt ich wahrhaftig ein brauchbares Ergebnis: eine Figur in einem dieser Rollenspiele, eine Gestalt, die als Geheimnishüter bekannt war. Ich forschte ein bisschen nach und fand heraus, dass der Dämon in dem Spiel Geheimnisse von anderen Mitspielern aufnahm und sie vor den Feinden der Mitspieler schützte. Interessant.
Ich suchte noch eine Weile weiter, fand aber nichts mehr. In der Annahme, dass Erzählungen oft das Leben widerspiegeln, wandte ich mich vom Computer ab und einem alten, zerfledderten Text zu, den Clarence mir gegeben hatte. Leider gab es kein Inhaltsverzeichnis, also überflog ich die Seiten mit dem kalligrafieartigen Text und verlor dabei mehr und mehr den Mut. Doch dann stießen meine Augen auf das Wort Geheimnis, als ich gerade
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