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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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aufgerissenen Augen. »Was zum Teufel war das?«
    Aber ich konnte sie nur wortlos anstarren, so sehr zitterte ich bei der Erinnerung daran, wie ich wieder zu mir gekommen war, gefangen in einem Raum genau wie diesem. Gefesselt genau wie diese Gestalt.
    »Alice! Alice!« Gracies Stimme klang total verängstigt. »Um Himmels willen! Dieses Mädchen. Das war …« Schaudernd brach sie ab. »Was war das? Was ist los? Du hast es doch auch gesehen, oder?« Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und ich wusste genau, wie sie sich fühlte.
    Ich konnte es mir nicht leisten, jetzt auszuflippen, also holte ich tief Luft und versuchte, die Erinnerung einfach auszulöschen. Beruhige dich!, dachte ich. Beherrsch dich. Das waren jetzt meine Schlagworte.
    »Ich habe manchmal solche Visionen«, sagte ich und zwang mich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Nicht oft, aber manchmal.« Ich zuckte mit den Schultern, als wäre das etwas ganz Alltägliches. »Es ist seltsam, aber ich habe mich daran gewöhnt.«
    »Das hast du mir schon mal erzählt, erinnerst du dich?« Wieder überlief sie ein Schauder. »Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie so sind.«
    »Ja. Sie können einen ganz schön aus der Fassung bringen.« Es gelang mir, sie anzulächeln. Es war absurd, aber ich war froh, dass Alice Gracie von den Visionen erzählt hatte. Ich hatte das Gefühl, nur diese Vorbereitung hatte verhindert, dass Gracie schreiend aus dem Restaurant gerannt war. Sie war völlig außer sich, obwohl sie sich Mühe gab, es zu überspielen. Vermutlich hatte sie Alice gesagt, solche Visionen seien nichts Schlimmes und dass sie Alice deswegen nicht für durchgeknallt halte. Und jetzt hatte die arme Gracie Gelegenheit bekommen zu zeigen, ob sie es wirklich so gemeint hatte.
    Sie kaute auf ihrer Unterlippe he ru m und blickte mich aufmerksam an, offensichtlich inzwischen wieder ein wenig ruhiger. »Sind das so was wie … Voraussagen?«
    »Manchmal«, entgegnete ich und sah, wie die Angst in ihren Augen wieder aufflackerte. »Manchmal sind sie auch mehr wie Träume. Man muss sie deuten, verstehst du?«
    »Und diese Vision?«
    »Keine Ahnung.« Ich wusste nach wie vor nicht, wie es zu diesen Visionen kam, aber vielleicht hatte Gracies Berührung eine Erinnerung in dem Körper ausgelöst, der jetzt meiner war. Eine Erinnerung an die Opferzeremonie. Eine Erinnerung, die mir, wenn ich Glück hatte, helfen würde, Alice’ Mörder zu finden.
    »Du verschweigst mir was«, beschwerte sich Gracie.
    Ich wollte das gerade ableugnen, doch wozu eigentlich? »Du hast recht, das tue ich. Und was neulich angeht, da hattest du auch recht. Als du gesagt hast, ich wäre so zerstreut.«
    »Kann ich dir helfen?«, fragte sie, obwohl sie aussah, als würde sie lieber über heiße Kohlen laufen.
    »Auf keinen Fall«, entgegnete ich vermutlich ein bisschen zu schnell.
    »Du wirst verletzt werden, umgebracht oder noch schlimmer. Stimmt’s?« In ihren Augen standen Tränen. »Wenn du irgendwie in Gefahr bist, musst du unbedingt die Polizei anrufen.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich habe Hilfe.«
    »Deacon?«
    »Nein«, antwortete ich wahrscheinlich etwas zu scharf. »Halt dich von ihm fern, Gracie!« Ich wusste noch immer nicht, warum er Alice getötet hatte - wobei ich immer noch hoffte, dass Clarence’ Informant sich irrte aber ich würde auf keinen Fall das Leben meiner Freundin in Gefahr bringen. »Und geh ja nicht ins Pub! Wann fängt dein neuer Job an?«
    »Nun ja … morgen. Ich weiß, es ist gemein von mir, Egan nicht zwei Wochen vorher Bescheid zu geben, aber das wird schon okay sein, meinst du nicht auch? Zumal das Pub morgen sowieso zu ist.«
    »Echt?«
    »Ja. Weißt du das nicht mehr? Ach, stimmt, du bist mittwochs ja nicht da.«
    »Warum ist Freitag zu?«
    »Wegen der Wasserleitungen. Sie müssen irgendwelche Leitungen in den Toiletten rausreißen. Egan ist total genervt. Vermutlich hat es was mit Hygienevorschriften oder so zu tun.« Sie zog die Nase kraus. »Klingt jedenfalls ziemlich grässlich. Aber dann ist es doch okay, oder? Das ist fast, als hätte ich ihm einen Tag früher Bescheid gegeben, nicht wahr?«
    »Mit Sicherheit. Und falls Egan Hilfe braucht, übernehme ich eben eine zusätzliche Schicht. Mach dir keine Sorgen!«
    Sie rieb sich die Arme. »Leichter gesagt als getan«, entgegnete sie, und ich wusste, sie sprach nicht von dem Job.
    Ich zuckte mit den Schultern, musste ihr allerdings recht geben. Und wie mir schien, hatte Gracie genau im richtigen

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