Erwachen
meiner Wohnung rumhing und unschuldige Frauen getötet hat.«
»Hältst du dich etwa für unbesiegbar?« Er piekste mich in den Brustkorb. »Das bist du nicht. Aber du bist diejenige, die dafür sorgen wird, dass das Tor geschlossen bleibt. Und wenn du umgebracht wirst, kannst du das nicht mehr tun.« Er schnaubte. »Wenn wir den Krieg verlieren, bist du dann froh, dass du zwei oder drei Dämonen aus dem Weg geräumt hast? Einen Vampir, der es einer Schlampe besorgt, die er irgendwo aufgelesen …«
»Schlampe?«
»Ich versuche, dir etwas klarzumachen! Lässt du mich jetzt ausreden?«
Ergeben hob ich die Hände und trat einen Schritt zurück.
»Die Sache ist die: Du gewinnst vielleicht den Kampf, aber sicher nicht den Krieg. Jedenfalls nicht so. Nicht, wenn du deine eigenen Ziele verfolgst.«
»Er hat sie umgebracht!«
»Wir müssen alle sterben, Schätzchen. Wie man so schön sagt: So ist das Leben.«
Ich verschränkte die Arme und starrte ihn nieder. »Ich musste nicht sterben.«
»Ganz meine Rede«, entgegnete er. »Du hast einen Job zu erledigen. Du hast ein Ziel. Versau dir das nicht wegen irgend so einem blöden Gerechtigkeitssinn.«
»Wieso blöd?«
»Die Frau wäre sowieso gestorben. Vielleicht nicht heute Nacht. Vielleicht nicht nächstes Jahr. Aber sie hätte nicht ewig gelebt, also ist das aus ihrer Sicht letztlich dasselbe. Aber wogegen du kämpfst… das ist ewig. Mehr noch: Wenn du es verpatzt, hat die Seele der jungen Dame vielleicht keinen Zufluchtsort mehr. Kapiert? Du musst das große Ganze im Auge behalten, Lily. Denn wenn du dich auf allen möglichen Kleinscheiß stürzt, kriegen wir jede Menge Probleme. Verstehst du das? Geht irgendwas davon in deinen Schädel?«
»Ich verstehe«, antwortete ich. Und das tat ich auch. Ich hatte ja nur helfen wollen, diese neuerworbenen Kräfte einsetzen wollen, um die Schwachen und Unschuldigen zu beschützen. Menschen wie Rose. Aber das war mir nicht gestattet. Stattdessen musste ich immer die Mission im Auge behalten und konnte mir nur dort Befriedigung verschaffen, wo man es mir befahl.
Ganz schön fad für eine Superbraut.
»Eine Superbraut, die die Welt erlösen wird, Schätzchen! Glaub mir, da wirst du jede Menge Unschuldige retten.«
Ich wusste, dass er recht hatte, aber es fühlte sich nicht so an.
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und durchforstete meine Gedanken. »Komm schon, Kleine, Kopf hoch! Du kannst es dir nicht leisten, dich ablenken zu lassen. Es steht zu viel auf dem Spiel.« Er legte den Arm um mich und zog mich an sich, als wäre ich seine beste Freundin. »Es ist schon fast drei. Um zehn sollst du wieder bei Zane sein, um weiterzutrainieren, und danach fängt deine Schicht im Pub an. Vielleicht brauchst du gerade keinen Schlaf, aber es wäre trotzdem ganz sinnvoll, wenn du dich ein bisschen hinlegst. Also los.«
Ich nickte und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Er hatte recht, aber das hieß nicht, dass es mir gefiel. Ich redete mir ein, ich sei wild entschlossen, nach Hause zu gehen, die Nacht in Alice’ Bett zu beenden - meinem Bett - und mich vor all dem ins Land der Träume zu flüchten. Das redete ich mir ein, aber dann lief ich doch weiter, kreuz und quer durch Straßen und Gassen, ohne darauf zu achten, wohin ich ging. Ich ließ mich einfach treiben und versuchte, den Kopf freizubekommen.
Ein gleichmäßiger Bassrhythmus dröhnte durch die Nacht und ließ den Bürgersteig unter meinen Füßen erzittern. Ich blieb stehen, um herauszufinden, woher die Musik kam.
Erst da wurde mir bewusst, wie weit ich gelaufen war. Ich war weit weg von meinem Viertel. Um mich herum waren Lagerhäuser und kleine Läden in Containern, in denen man seinen Wagen reparieren lassen konnte oder seine antike Schreibmaschine.
Der Lärm kam aus einem heruntergekommenen Lagerhaus an der Ecke, an dem überall Plakate hingen, die verschiedene Bands ankündigten, von denen ich noch nie gehört hatte. Ich folgte der Musik um die Ecke und fand mich auf einmal einem Typen in Armeeklamotten gegenüber, der sich rauchend auf einem Gartenstuhl lümmelte. Er sah mich von oben bis unten an, wobei sein Blick nur ganz kurz bei dem Messer an meinem Oberschenkel hängen blieb.
»Wie viel?«
»Fünfzehn«, antwortete er. »Es gibt nur Musik, und wir schließen erst, wenn es hell wird.« Was Türsteherslang war und so viel hieß wie: Hier kriegst du alles an Drogen und Alkohol, was dein Herz begehrt, aber ich hüte mich, das zu sagen,
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