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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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ausgebreitet hatte.
    Ich rannte und rannte, die Welt um mich drehte sich und nahm alle möglichen interessanten Farben an. Arm oder Brust spürte ich nicht mehr. Immerhin atmete ich noch, was mich freute, auch wenn ich den Vorgang an sich nicht mehr spüren konnte. Mochten sich meine Lungen auch dehnen, mochte mein Herz auch schlagen, von meinem Empfinden her war ich starr und steif wie eine Kleiderpuppe.
    Ich verlor ein paar wertvolle Sekunden, weil ich mich umdrehte und zurückschaute. Der Mann in Schwarz war noch da und kam langsam auf mich zu, die Waffe bereit zum Schuss. Er hetzte sich nicht, und ich wusste auch den Grund. Er hatte mir eine Dosis Nervengift verpasst. Wenn erst mal Arme und Beine ihren Dienst versagten und ich hilflos auf dem Pflaster lag, würde er mir die Maske vom Kopf ziehen und mir eine Klinge ins Herz stoßen.
    Ich würde zurückkommen. Das stand für mich fest. Doch plötzlich befielen mich neue Ängste: Was würde beispielsweise geschehen, wenn er mir den Kopf abschnitt? Wenn er mich in einer Holzkiste begrub? Wenn er mich in frischem Beton versenkte?
    Sterben konnte ich nicht, leiden schon, und ich glaube, in diesem Moment hatte ich mehr Angst davor, lebend oder ohne Kopf bis in alle Ewigkeit irgendwo festzusitzen, als vor dem Tod.
    Beweg dich, Lily! Beweg endlich deine verdammten Beine!
    Ich torkelte auf die Straße, wich den wenigen Autos aus, die vorbeiflitzten. Die Fahrer hupten wild, doch ich hörte nichts, vollkommen gefesselt von dem Bild, das mir wieder und immer wieder in den Sinn kam: das Messer, dunkle Kisten, mein Kopf. Ein Schauder durchlief mich, auch wenn mein Körper zu so einer R eaktion gar nicht mehr fähig war.
    Blindlings stürzte ich mich vor einen herankommenden Wagen und warf verzweifelt die Arme hoch, um ihn zum Anhalten zu bringen.
    Die Fahrerin riss die Augen sperrangelweit auf und das Steuer herum, dann trat sie auf die Bremse. Die Fingerspitzen meiner rechten Hand ließen sich noch bewegen. Ich zog die Autotür auf und schwang drohend das Messer.
    Die Frau schrie, doch obwohl ich nicht sprechen konnte, wusste sie genau, was ich wollte. Sie stieg aufs Gas, und wir schössen davon. Das Lenkrad fest umklammernd warf sie mir immer wieder entsetzte Blicke zu. Ich hingegen beobachtete die Schatten und entdeckte meinen Peiniger schließlich im Schein einer Verandalampe. Als wir vorbeifuhren, wandte er sich ab. Er hatte verloren.
    Diese Runde hatte ich für mich entschieden, es war jedoch ein Pyrrhussieg. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr, ich hatte eine Frau samt Wagen entführt, und bald schon würde ich dem Feind erneut gegenüberstehen.
    »Was … was soll ich tun?«, fragte die Frau ein paar Meilen später.
    Ich schwieg. Meine Lippen reagierten nicht mehr auf Befehle. Sehnsüchtig wünschte ich mir ein Handy, aber wozu eigentlich? Ich hatte weder die Nummer von Clarence noch die von Zane, und sonst konnte ich auf niemanden zählen.
    Abgesehen davon hätte ich noch nicht einmal wählen können.
    Die Fahrerin schaute zu mir herüber, schaute auf das Messer und steuerte scharf nach rechts auf einen Parkplatz. Noch ehe der Wagen zu stehen kam, riss sie die Tür auf und sprang hinaus. Das Auto rollte weiter und knallte in einen anderen Wagen. Ich wurde nach vorne geschleudert und prallte mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett. Eine Alarmanlage heulte los.
    Ich versuchte, die Tür zu öffnen, aber meine Finger rührten sich nicht mehr. In den Beinen hingegen steckte noch ein wenig Leben. Ich stieß und schob und drückte, bis ich schließlich aus dem Auto plumpste. Ich fiel auf groben Kies und Glasscherben.
    Der Parkplatz war mit ihnen übersät, sie stachen mir in die Wange.
    Den Kopf konnte ich nicht drehen, jedoch meinen Körper mühsam herumrollen, sodass ich mit den Augen das Gelände absuchen konnte. Keiner da. Mein Entführungsopfer war verschwunden, aber wenn ich nur ein bisschen Menschenkenntnis besaß, würde sie wiederkommen, und mit ihr die Polizei.
    Ich musste weg. Mit letzter Kraft quälte ich mich über den Parkplatz und riss mir dabei mein schickes Killerkostüm in Fetzen.
    In meinem alten Leben hätte ich eine derartige Anstrengung nie und nimmer geschafft. Allerdings hätte ich in meinem alten Leben auch nie und nimmer gelähmt auf einem Parkplatz rumgelegen, nachdem ich eine unschuldige Frau entführt hatte.
    Ich gelangte schließlich zu einem Grashang, der zu einer anderen Straße führte, ließ mich hinunterrollen und fand mich zwischen lauter

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