Erwachende Leidenschaft
nachforschte, fügte sie hinzu, daß Albert ein enger Freund ihres Vater gewesen war.
Dreysons Neugier war dadurch befriedigt. Obwohl er keine Probleme damit hatte, Aktiengeschäfte für einen Mann zu tätigen, wunderte er sich doch laut darüber, daß dieser Albert ihr erlaubte, seine Transaktionen mit ihren Initialen zu versehen. Er wollte ihren Ratgeber und Ehrenonkel gerne kennenlernen, aber Alesandra beeilte sich zu sagen, daß Albert sehr zurückgezogen lebte und keinen Besuch wünschte. Seit er nach England gekommen war, störten ihn Gäste in seiner friedlichen, täglichen Routine, log sie. Und da Dreyson mit jeder Transaktion eine hübsche Provision machen würde und Alberts Ratschläge recht gut zu sein schienen, bestand der Makler nicht weiter darauf. Wenn dieser Onkel ihn nicht sehen wollte – also gut. Das letzte, was Dreyson wollte, war Klienten zu vergraulen. Albert war wahrscheinlich bloß etwas exzentrisch.
Nach dem Essen kehrten sie in den Salon zurück, wo Flannaghan Dreyson ein Glas Portwein einschenkte. Alesandra saß auf dem Sofa ihrem Gast gegenüber und lauschte den amüsanten Geschichten über die Subskribenten, die durch die Flure der königlichen Börse spukten. Sie hätte zu gern selbst die gebohnerten Hartholzböden gesehen, auf denen die Verschlage, die man Boxen nannte, errichtet waren und in denen die Agenten ihre Geschäfte erledigten. Dreyson erzählte ihr von einem merkwürdigen Brauch, der 1710 entstanden war und bei dem ein Diener, Caller genannt, in eine Art Kanzel trat und laut die Nachrichten des Tages aus der Zeitung vorlas, während die Broker gemütlich an ihren Tischen saßen und ihre Drinks schlürften. Alesandra mußte sich damit zufriedengeben, sich die Bilder in ihrem Kopf auszumalen, denn Frauen waren dort nicht zugelassen.
Colin kehrte nach Hause zurück, als Dreyson gerade sein Glas geleert hatte. Colin warf seinen Mantel in Flannaghans Richtung, stürmte in den Salon und blieb wie angewurzelt stehen, als er den Besuch entdeckte.
Alesandra und Dreyson standen beide auf, und sie stellte die Männer einander vor. Colin wußte bereits, wer Dreyson war, und er war ziemlich beeindruckt, denn Dreysons Ruf war gerade in der Reedergemeinde bestens bekannt. Viele hielten den Broker für ein echtes Finanzgenie, und Colin bewunderte ihn. In der brutalen Geschäftswelt war Dreyson einer der wenigen, der die Interessen seiner Kunden über seine eigenen stellte. Er war ehrlich und verläßlich, und das hielt Colin bei einem Makler für einen bemerkenswerten Zug.
»Habe ich ein wichtiges Treffen gestört?« fragte er.
»Wir haben unsere Geschäfte bereits erledigt«, antwortete Dreyson. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir. Ich habe die Entwicklung Ihrer Gesellschaft interessiert verfolgt, und ich muß sagen, sich von drei auf zwanzig Schiffe in nur fünf Jahren zu steigern, ist sehr beeindruckend.«
Colin nickte. »Mein Partner und ich versuchen, konkurrenzfähig zu bleiben.«
»Haben Sie darüber nachgedacht, Anteile anzubieten, Sir? Tja, selbst ich wäre interessiert, in solch ein gesundes Unternehmen zu investieren.«
Colins Bein pulsierte schmerzvoll. Er verlagerte das Gewicht, zuckte zusammen und schüttelte dann den Kopf. Am liebsten würde er sich setzen, sein Bein hochlegen und trinken, bis der Schmerz nachließ, aber er konnte sich jetzt nicht gehenlassen. Also versuchte er erneut, sein Gewicht zu verlagern, bis er schließlich am Sofa lehnte, und zwang sich dann, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
»Nein«, verkündete er. »Die Anteile der Emerald-Reederei sind exakt zwischen mir und meinem Partner Nathan aufgeteilt. Wir möchten nicht, daß Fremde Teile davon besitzen.«
»Wenn Sie je Ihre Ansicht ändern sollten …«
»Nein.«
Dreyson nickte. »Prinzessin Alesandra hat mir berichtet, daß Sie während der Krankheit in Ihrer Familie als Vormund fungieren.« »Das ist richtig.«
»Da hat man Ihnen aber eine große Ehre angetan«, sagte Dreyson und lächelte Alesandra an. »Beschützen Sie sie gut, Sir. Sie ist ein kostbarer Schatz.«
Alesandra wand sich verlegen bei Dreysons Kompliment. Doch schon fragte der Broker Colin nach dem Befinden seines Vaters.
»Ich habe ihn eben besucht. Er ist wirklich sehr krank gewesen, aber es geht jetzt wieder bergauf.«
Alesandra konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Du bist …« Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig zusammenreißen. Am liebsten hätte sie ihn angefaucht, weil er ihr
Weitere Kostenlose Bücher