Erwachende Leidenschaft
mit einer übelriechenden Flüssigkeit gereinigt, dann mit schwarzem Garn zusammengenäht. Raymond zuckte die ganze schmerzhafte Prozedur über nicht einmal mit der Wimper. Alesandra tat es für ihn. Sie saß neben dem Mann, während Winters seine Nadel immer wieder in die Haut hineinstach, und wand sich. Irgendwann nahm sie Raymonds Hand und hielt sie fest.
Colin stand im Türrahmen und sah zu. Alesandra war völlig erschöpft. Tränen füllten ihre Augen, und Colin mußte das Bedürfnis niederkämpfen, zu ihr zu gehen und sie zu trösten.
Ja, Alesandra war eine sanftmütige, mitfühlende Frau, und Colin erkannte, wie verletzlich sie war. Sie flüsterte ihrer Wache etwas zu, doch er konnte die Worte nicht verstehen. Er trat vor und blieb plötzlich wie angenagelt stehen, als er endlich hören konnte, was sie sagte.
Alesandra versprach Raymond, daß nichts mehr passieren würde. Ivan würde wahrscheinlich nicht der schlechteste aller Ehemänner sein. Sie setzte hinzu, daß sie gründlich über die ganze Sache nachgedacht hatte und in ihre Heimat zurückkehren würde.
Raymond sah darüber nicht besonders glücklich aus, und Colin war wütend. »Du wirst heute abend gar nichts mehr entscheiden, Alesandra«, fauchte er.
Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Der Zorn in seiner Stimme überraschte sie. Was kümmerte es ihn, wie sie sich entschied?
»Ja, Prinzessin«, sagte Raymond und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Morgen ist es früh genug, sich über Ihre Zukunft Gedanken zu machen.«
Alesandra tat so, als würde sie zustimmen. Trotzdem hatte sie bereits einen Entschluß gefaßt. Sie würde nicht zulassen, daß noch jemand zu Schaden kam, nur weil sie nicht erkannt hatte, zu welchen Dingen der General fähig war, um sein Ziel zu erreichen. Wenn Colin nicht dazugekommen wäre, hätte Raymond getötet werden können.
Auch Colin hätte ernsthaft verletzt werden können. O ja, sie hatte ihren Entschluß gefaßt!
Inzwischen hatte Winters seine Arbeit beendet, gab diverse Anweisungen und machte sich dann auf den Heimweg. Colin schenkte Raymond einen großen Brandy ein, und der Soldat kippte ihn in einem Zug hinunter.
Sobald Raymond zu Bett gegangen war, übernahm Flannaghan die allabendliche Überprüfung der Fenster- und Türriegel und überzeugte sich, daß das Haus sicher war.
Alesandra versuchte, in ihr Schlafzimmer zu flüchten, aber Colin erwischte sie gerade noch, als sie schon nach ihrem Türknauf griff. Er ergriff ihre Hand und zog sie hinter sich her in sein Arbeitszimmer. Er sagte kein Wort, sondern schob sie nur hinein und schloß die Tür hinter sich.
Nun war wohl die Zeit gekommen, ihm ihre merkwürdige Lage zu erklären. Sie ging zum Kamin hinüber und streckte die Hände aus, um sich am Feuer zu wärmen, das Flannaghan in weiser Voraussicht angezündet hatte.
Colin sah ihr zu, sagte jedoch immer noch nichts. Schließlich wandte sie sich um und sah ihn an. Er lehnte an der Tür und hatte die Arme vor der Brust gekreuzt, doch er runzelte weder die Stirn noch funkelte er sie wütend an. Er wirkte nur nachdenklich.
»Ich habe dich heute abend in Gefahr gebracht«, flüsterte sie. »Ich hätte dir von vornherein alles erzählen müssen.«
Sie erwartete, daß er ihr zustimmen würde, doch zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf. »Es ist genauso meine Schuld wie deine, Alesandra. Ich hätte auf einer Erklärung bestehen müssen, aber ich war zu sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um groß auf dich zu achten. Ich habe als dein Vormund versagt. Doch das wird garantiert nicht mehr vorkommen. Du wirst mir jetzt alles erzählen, nicht wahr?«
Sie schlang nervös die Hände ineinander. »Es ist wirklich nicht dein Fehler gewesen. Ich dachte, ich würde nicht lange genug hierbleiben, um dich mit meinen Problemen zu belästigen, besonders, nachdem du mir klargemacht hast, daß du in absehbarer Zeit nicht heiraten willst. Zudem habe ich geglaubt, der General würde lediglich einen Boten schicken, der meine Heimkehr fordern würde. Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Ich war sicher, daß er ein zivilisierter Mensch ist. Leider stimmt das nicht. Er ist offenbar zu allem entschlossen … verzweifelt!«
Tränen verschleierten ihre Augen. Sie holte tief Luft, um die Fassung zu bewahren. »Es tut mir so leid, was heute abend geschehen ist.«
Colin hatte Erbarmen. »Du bist nicht dafür verantwortlich.«
»Aber sie sind hinter mir her«, argumentierte sie. »Nicht hinter
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