Erwachende Leidenschaft
vom Kutschbock, wo er mit dem Kutscher gewartet hatte.
Alesandra raffte ihre Röcke und begann, die Treppe hinunterzugehen. Plötzlich packte sie jemand am Arm, und sie dachte, es wäre Colin, der sie endlich eingeholt hatte. Doch der Griff schmerzte, und sie versuchte, ihren Arm loszureißen. Dann wandte sie sich um und wollte protestieren.
Es war nicht Colin. Der Fremde, der sie festhielt, war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Eine Kappe war tief in die Stirn gezogen, und sie konnte sein Gesicht kaum sehen.
»Lassen Sie mich los«, befahl sie.
»Sie müssen mit uns kommen, Prinzessin Alesandra.«
Eine eisige Faust umklammerte ihr Herz. Der Mann hatte in der Sprache ihrer Heimat gesprochen. Und endlich begriff sie, was sich hier abspielte. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, riß sich los und rannte ein paar Schritte, doch ein zweiter Mann erwischte sie von hinten. Sein fester Griff tat ihr weh, doch Alesandra war plötzlich viel zu wütend, um sich um den Schmerz zu kümmern. Mit der Hilfe seines Kumpanen versuchte der Kerl, sie in eine Seitengasse zu ziehen. Ein dritter Mann tauchte hinter einer der Steinsäulen der Fassade auf und rannte die Treppen hinunter, um Raymond davon abzuhalten, sich einzumischen. Ihr treuer Soldat war bereits die Stufen heraufgehastet und versetzte einem einen kräftigen Boxhieb. Der Mann taumelte jedoch bloß zurück und schleuderte etwas Blitzendes in Raymonds Richtung. Alesandra sah das Blut aus Raymonds Wange sprudeln und begann zu schreien.
Eine Hand legte sich auf ihren Mund und Alesandra biß so fest wie möglich zu. Der Mann heulte auf, während er seinen Griff änderte. Jetzt würgte er sie, wobei er ihr immer wieder leise zuflüsterte, sie solle aufgeben, sonst würde er ihr wehtun müssen.
Panik überkam Alesandra in einer mächtigen Woge. Sie konnte nicht mehr atmen, dennoch hörte sie nicht auf zu kämpfen. Sie mußte freikommen und Raymond helfen. Gott, er konnte verbluten, und das war alles ihre Schuld. Sie hätte auf seine Warnungen hören sollen. Sie hätte zu Hause bleiben sollen. Sie hätte … sie hätte …
Sie hörte Colin, bevor sie ihn sah. Ein Zornesgebrüll, wie sie es noch nie zuvor gehört hatte, erklang aus der Dunkelheit. Der Mann, der sie von hinten umklammert hielt, wurde plötzlich von ihr fortgerissen und stürzte kopfüber gegen eine der Steinsäulen. Er klappte zusammen wie eine Stoffpuppe.
Alesandra rang hustend und keuchend nach Luft. Ein anderer Angreifer versuchte, sie vor sich zu ziehen, um sie als Schild gegen Colin einzusetzen, hatte jedoch keine Chance. Colin bewegte sich so blitzschnell, daß Alesandra nicht einmal helfen konnte. Er rammte seine Faust in das Gesicht des Mannes, wodurch die Kappe des Mannes weit davonflog, während der Mann selbst die Stufen hinunterkullerte. Mit einem lauten Plumps landete er vor Raymonds Füßen. Dieser war jedoch vollauf damit beschäftigt, den dritten Angreifer im Auge zu behalten, der lauernd mit einem gezückten Messer vor ihm stand.
Als Colin sich dem Mann von hinten näherte, wirbelte der herum, doch Colin trat ihm die Waffe aus der Hand, packte seinen Arm und drehte ihn heftig mit aller Kraft herum. Der Knochen splitterte, und dem entsetzlichen Geräusch folgte ein greller Schmerzensschrei. Doch Colin war noch nicht fertig, sondern stieß sein Opfer mit dem Kopf voran in die Kutsche.
Alesandra rannte die Stufen hinunter. Sie riß das Taschentuch aus ihrem Mieder und drückte es auf den tiefen Schnitt in Raymonds Wange, um das Blut zu stillen.
Colin wußte nicht, ob noch mehr Angreifer in der Dunkelheit lauerten. Jedenfalls war Alesandra erst sicher, wenn sie wieder zu Hause war.
»Steig in die Kutsche, Alesandra. Sofort!«
Seine Stimme war rauh vor Zorn. War er wütend auf sie?
Sie beeilte sich, seinem Befehl zu folgen, versuchte dabei aber, Raymond mitzuziehen. Sie legte seinen Arm um ihre Schultern und flüsterte ihm dann zu, sich auf sie zu stützen.
»Ich bin in Ordnung, Prinzessin«, sagte Raymond. »Steigen Sie in die Kutsche. Hier draußen sind Sie nicht sicher!«
Colin zerrte sie von ihrer Wache fort und stieß und hob sie in die Kutsche. Dann wandte er sich zu Raymond, um ihm zu helfen.
Wenn der Mann in dem Zustand gewesen wäre, Alesandra beschützen zu können, wäre Colin zurückgeblieben, um ein paar Antworten aus diesen Bastarden herauszuholen. Aber Raymond hatte eine ganze Menge Blut verloren und sah aus, als könnte er jeden Moment ohnmächtig werden.
Colin
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