Erwacht
ganze Sache noch eine Menge herausfinden.«
»Lässt du mich dir dabei helfen?« Er bettelte fast.
Die Wahrheit war, dass das, was mit Claudia passiert war – wie der Verbannte sie gezwungen hatte, sich niederzuknien und um ihren Tod zu bitten – etwas in mir angerichtet hatte. Zu sehen, wie ihr völlig reulos der eigene Wille entrissen wurde. Ich wusste nicht mehr, ob ich mich wirklich von meinem Schicksal abwenden konnte, wenn mir klar war, dass ich eines Tages möglicherweise in der Lage sein würde zu verhindern, dass das einem anderen unschuldigen Menschen passierte.
Außerdem wusste ich, dass ein Teil von mir noch immer so unglaublich danach hungerte, bei Lincoln zu sein, dass ich seinem Angebot nicht widerstehen konnte. Ich legte die Hände auf das Geländer und wir schauten beide in die Nacht hinaus, Schulter an Schulter.
»Okay«, gab ich nach. »Aber das heißt nicht, dass alles okay ist.«
»Okay«, sagte Lincoln.
Großartig. Alles war okay .
D ie Frau, die mit Lincoln gekommen war, tauchte an seiner Schulter auf. Ihre groß gewachsene, anmutige Gestalt und das gewellte blonde Haar wurden durch ein hautenges, cremefarbenes Designerabendkleid ergänzt. Ich knirschte mit den Zähnen. Perfekt, jetzt hatte ich auch noch das Vergnügen, wegen dieser schönen Kreatur einen Korb zu bekommen.
Sie machte ihm ein Zeichen, dass sie mit ihm unter vier Augen sprechen wollte. Statt darauf einzugehen, sagte Lincoln: »Violet, das ist Magda. Sie ist Griffins Partnerin.«
Magda schaute mich an und lächelte, aber es war die Art von Lächeln, das eine Frau einer anderen schenkt, wenn sie sie abcheckt. Ihre Augen waren kalt. Sofort fiel es mir leichter, sie nicht zu mögen. Sie streckte ihren langen, schlanken Arm vor, der zum Rest ihrer perfekten Figur passte.
»Grigori-Partner«, stellte sie klar. Dreimal darf man raten, warum. »Schön, dich endlich kennenzulernen, Violet. Ich bin mir sicher, dass wir bald die Gelegenheit haben werden, uns besser kennenzulernen. Es tut mir leid, dass wir jetzt gehen müssen.« Sie hatte einen leichten Akzent. Keinen fremden, sondern eher einen »Du-bistunter-meiner-Würde«-Akzent.
»Warum?« Lincoln klang ein wenig irritiert.
Magda schaute vielsagend von Lincoln zu mir und dann wieder zurück.
»Schon gut, Magda. Du kannst vor ihr sprechen. Es wird keine Geheimnisse mehr geben.«
Ich stieß ein höhnisches Lachen aus, und beide schauten mich an. Wenn sie glaubten, ich würde mich dafür entschuldigen, konnten sie lange warten.
Sie zögerte, dann nickte sie knapp. »Die Gruppe, die heute unserem Hinweis gefolgt ist, ist in einen Hinterhalt geraten. Griffin erwartet uns.«
Lincoln biss die Zähne zusammen. Er schaute mich an. »Ich muss gehen, es tut mir leid.«
Aus dem Nichts platzte ich heraus: »Ich möchte mitkommen.«
Nun war es an Lincoln, seinen Blick von mir zu Magda wandern zu lassen. Sie schüttelte leicht den Kopf. Tja, sie und ich würden niemals beste Freundinnen werden.
Zu meiner Überraschung ignorierte Lincoln sie. »Sie hat das Recht, es zu sehen, um zu verstehen.« Er wandte sich mir zu. »Okay, aber du musst mir versprechen, die ganze Zeit bei mir zu bleiben.«
Ich nickte. Ich war mir eigentlich nicht sicher, was ich da gerade tat, aber ich hatte den schuldbewussten Verdacht, dass ich diesen Schritt aus purer Eifersucht unternommen hatte.
A uf dem Rücksitz von Magdas Wagen lehnte ich den Kopf an die Fensterscheibe. Da ich keine Zeit hatte, mich zu verabschieden, schickte ich Steph eine SMS, um ihr und Phoenix mitzuteilen, dass ich wegmusste. Insgeheim war ich froh, einen Vorwand zu haben. Ich hatte mich nicht gerade darauf gefreut, mich heute Abend noch mit einem von ihnen befassen zu müssen. Zweifellos würde ich morgen dafür bezahlen.
Vorne sprachen Magda und Lincoln über Dinge, die ich nicht verstand, und über Menschen, die ich nicht kannte. Prickelnde Eifersucht überkam mich. Wieder wurde ich mit der harten Realität konfrontiert, dass es einen großen Teil in Lincolns Leben gab, von dem ich keine Ahnung hatte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich so dumm gewesen war, so naiv.
Ein paar andere Dinge wurden dafür nur allzu deutlich, wenn man die beiden beobachtete. Er war entspannt und fühlte sich in ihrer Gegenwart eindeutig wohl. Obwohl sie fuhr, fuchtelte sie dauernd mit ihren Händen herum, strich sich über das Haar, spielte mit ihrer Halskette. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit rückte sie näher an die Mittelkonsole
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