Erwacht
heran, an ihn. Es war klar, was sie empfand. Die Frage war, was empfand er für sie?
Was ich – außer meiner komplexen Analyse ihrer Körpersprache – ihrem Gespräch entnehmen konnte, war, dass es zu einer Konfrontation zwischen einigen verbannten Engeln und Grigori gekommen war. Die Grigori hatten die Verbannten zu ihrem Unterschlupf verfolgt, waren aber in einen Hinterhalt gelockt worden und zahlenmäßig unterlegen.
»Kannst du mir noch mal erklären, warum sie die Grigori so hassen?«, fragte ich von den vornehmen Ledersitzen hinten im Audi. Natürlich fuhr Magda ein teures europäisches Auto.
Lincoln wandte sich zu mir um und beugte sich dabei über die Mittelkonsole. Ich merkte, dass sich Magda nicht rührte, um ihm Platz zu machen. Stattdessen berührten sich ihre Arme jetzt von der Schulter bis zum Ellbogen. Ich rollte innerlich mit den Augen. Konnte sie bitte noch ein wenig eindeutiger werden?
»Weil wir das Einzige sind, was ihnen im Weg steht«, sagte er.
»Ihrem Weg wohin genau?«
»An die Macht.« Er lächelte schief. »Sie wollen über die Menschheit herrschen. Sie wollen Macht und sie wollen uns unser Recht auf einen freien Willen nehmen, uns zu Sklaven machen. Sie können Menschen fast zu allem zwingen. Manche sind unberechenbar, irrational … Andere sind organisierter. So oder so – mit dieser Art von Macht ist das übel. Sie wollen uns vernichten, weil wir die Einzigen sind, die sie aufhalten können, und … wir sind die Einzigen, die stark genug sind, gegen sie zu kämpfen.« Er schüttelte den Kopf, während er sprach. »Das ist manchmal das Schlimmste daran. Zu wissen, dass sie es so sehr genießen, Grigori zu jagen … dass es zu einer Unterhaltung für sie geworden ist, zu einem Sport.«
»Aber nicht alle wollen Schaden anrichten«, sagte ich. »Griffin hat gesagt, dass es auch Ausnahmen gibt.«
Lincoln wusste sofort, auf wen ich damit anspielte. Er drehte sich wieder in seinem Sitz um und schaute mich nicht länger an. »Hin und wieder möchte ein Engel, der beschlossen hat, in die Verbannung zu gehen, einfach in Frieden unter den Menschen leben. Wir nennen sie ›die Stillen‹ und lassen sie gewähren, solange sie keine Schwierigkeiten machen. Die meisten Verbannten sind jedoch von Stolz, Verlangen und Machthunger erfüllt. Nicht ohne Grund haben sie das Engelreich verlassen, um hierherzukommen, und für Menschen endet das meistens nicht gut.«
Magda parkte vor einem alten Lagerhausblock. Die Gegend kam mir bekannt vor. Ich war mir sicher, dass wir nicht weit von Lincolns Wohnung entfernt waren. Ganz plötzlich erlitt ich einen akuten Anfall von so etwas wie Heimweh. Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt.
Ich folgte ihnen langsam in das verlassene Gebäude. Es sah aus, als würde es bald abgerissen werden. Die schmutzigen Fensterscheiben waren fast alle zerbrochen. Einige alte, platt gedrückte Kartons lagen herum, die offensichtlich als provisorische Betten benutzt worden waren.
Am anderen Ende der Lagerhalle war eine kleine Gruppe von Leuten, sie hatten sich um etwas zusammengedrängt. Wir gingen auf sie zu, wobei meine Absätze klapperten. Der Fußboden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, auf der frische Fußabdrücke zu sehen waren und Spuren, als wäre etwas über den Boden geschleift worden. Steph würde mich umbringen, wenn sie den Zustand ihrer Jimmy Choos sah.
Ich fühlte mich fehl am Platz, wie ein Kind, das gerade in einen nicht jugendfreien Film geschmuggelt wurde. Ich erwartete, dass jemand auf mich aufmerksam würde. Magda schaute mich aus den Augenwinkeln an. Ganz offensichtlich hielt sie es nicht für richtig, dass ich hier war.
Griffin löste sich aus der Gruppe und kam auf uns zu. Als er mich sah, lächelte er und ich atmete aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
»Ich hatte mich allmählich schon gefragt, ob ich erst einen Suchtrupp aussenden muss«, sagte er.
Ich lächelte. Seine Versuche, witzig zu sein, waren irgendwie ungeschickt.
»Also, hier bin ich«, erwiderte ich.
»Ja.« Griffin warf Lincoln einen Blick zu. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass es nicht nötig wäre, dich gleich ins kalte Wasser zu werfen …« Er starrte noch immer Lincoln an. »Aber ich fühle mich geschmeichelt, dass du dich so schick gemacht hast.«
Ich nahm ihn ins Visier. »Es war meine Idee, mitzukommen, du kannst also mit den vorwurfsvollen Blicken aufhören.«
Auf Griffins Gesicht zeichnete sich Schockiertheit ab.
Weitere Kostenlose Bücher