Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
Irgendwie hat er es geschafft, einen Pfleger von neunzig Kilo zu überwältigen, ihn bewusstlos zu schlagen und sich unbemerkt aus dem Gebäude zu stehlen. Und das, wo der Typ eigentlich gar nicht mehr fähig war, sich auf den Beinen zu halten, geschweige denn nach Marblehead rauszugehen und den Senator anzugreifen. Etwas so Bestialisches habe ich noch nie gesehen. So verdammt viel Blut.«
Tavia schluckte an dem Klumpen von Traurigkeit und Entsetzen, der ihr in die Kehle gestiegen war.
»Tut mir leid«, sagte Detective Avery und sah sie besorgt an. »Die hässlichen Details sollte ich Ihnen ersparen. In letzter Zeit haben Sie ja selbst eine Menge durchgemacht.«
»Ist schon gut.« Sie atmete schnell durch, um ihre Fassung wiederzugewinnen. »Es geht schon.«
»Wir würden uns gerne auf dem Revier mit Ihnen unterhalten, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Wir haben noch einige Fragen, und auch das FBI wird mit Ihnen reden wollen.«
»Natürlich.«
Er zeigte auf den Eingang des Gebäudes, wo die Reporter sich in der Zeit, die sie im Gebäude war, offenbar vervielfacht hatten.
»Gehen wir am besten jetzt, bevor sich das hier wirklich in einen Zoo verwandelt.«
Tavia nickte und folgte ihm, als er und eine kleine Gruppe uniformierter Beamter sie hinaus zu einer wartenden Polizeilimousine eskortierten.
Als sie in den kalten Morgen hinaustrat, hatte sie einen Augenblick lang das Gefühl, als ginge sie durch eine andere Welt, eine, die ihr nicht gehörte. Alles wirkte irgendwie irreal, so undeutlich wie durch einen Gazeschleier betrachtet.
Oder vielleicht wollte sie einfach nicht klar sehen.
Sie konnte sich nicht vorstellen, was für eine Art Mann das war, der diese unmenschliche Grausamkeit besaß, die man brauchte, um Senator Clarence das anzutun, was Detective Avery angedeutet hatte. Sie wollte nicht über die letzten Augenblicke des Senators nachdenken. Sie hatte jahrelang für ihn gearbeitet und wusste, dass er ein guter Mann war, der daran glaubte, dass er in seinem Amt Gutes bewirken konnte. Zugegebenermaßen hatte er in letzter Zeit etwas seltsam gewirkt. Irgendwie distanziert, zerstreut. Aber wer wäre das nicht, nach einem Attentatsversuch in seinem eigenen Haus erst vor ein paar Nächten? Eine Kugel, die leicht ihn hätte treffen können, aber stattdessen einen seiner VIP -Gäste getroffen hatte.
Drake Masters.
Der Name ging ihr durch den Kopf, und wieder erinnerte sie sich daran, was der Mann bei der Gegenüberstellung im Gefängnis zu ihr gesagt hatte – dass er auf der Weihnachtsfeier auf den Mann geschossen hatte, den er unter dem Namen Dragos kannte. Den Mann, der seiner Überzeugung nach Senator Clarence verletzen oder töten wollte. Jemand, der wahrscheinlich nur in seiner Vorstellung existierte. Es klang völlig verrückt, sogar, wenn sie nur daran dachte.
Und umso mehr, wenn sie daran dachte, wie brutal derselbe Mann sich auf Senator Clarence gestürzt hatte, sobald er ihn im Zeugenraum sah.
Und heute war Bobby Clarence tot.
Ein geständiger Killer, offensichtlich geistesgestört, war auf freiem Fuß.
Plötzlich fühlte sich ihr Albtraum, der sie letzte Nacht geweckt hatte, im kalten Tageslicht sogar noch unheimlicher an.
Als die Polizeilimousine vom Bordstein rollte, konnte Tavia nur hoffen, dass die sengenden blauen Augen und das gnadenlose Gesicht, das sie immer noch so deutlich vor sich sah, auch in Zukunft auf ihre Albträume beschränkt blieb.
8
Lucans beschissene Nacht wurde zu einem noch beschisseneren Morgen.
Es hatte mit Mathias Rowans Anruf vor ein paar Stunden gegen Tagesanbruch begonnen, der ihm von dem Massenmord an fast einem Dutzend Menschen in einem Nachtclub der Agentur berichtete. Zum Glück hatte Rowan alle Spuren am Tatort beseitigt, bevor die Morde öffentliche Aufmerksamkeit erregen konnten, aber das war nur ein kleiner Trost bei all den schlechten Neuigkeiten und Problemen, denen der Orden sich gegenübersah.
Und Lucan wusste, dass alles nur noch weiter abwärtsgehen würde, bis es wieder aufwärtsging.
Scheiße, wenn es überhaupt jemals wieder aufwärtsging.
Jetzt, während die Menschen im dichten Vormittagsverkehr zur Arbeit fuhren und das nachtaktive Vampirvolk sich in seine Dunklen Häfen zurückzog, um zu schlafen und das Tageslicht abzuwarten, waren Lucan und die übrigen ehemaligen Bewohner des Bostoner Hauptquartiers immer noch dabei, sich mit ihrer neuen Umgebung vertraut zu machen.
Lucan hatte seit über sechsunddreißig Stunden kein Auge
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